Wind des Südens
»Wie geht es Ihnen, Lyle?«, erkundigte er sich, als man ihn in das sonnendurchflutete Wohnzimmer führte.
»Das heißt jetzt ›Sir Lyle‹, guter Junge. Haben Sie es denn nicht gehört?«
»O ja, Verzeihung, ich vergaß. Wie läuft es denn so bei Ihnen?«
»Nicht so gut. Ich habe den Verlust der China Belle geschäftlich immer noch nicht ganz verkraftet. Außerdem gibt es Schwierigkeiten bei der Oriental. Einer unserer Direktoren ist unerwartet verstorben, und es herrscht ein heilloses Durcheinander. Deshalb werde ich wohl für eine Weile nach Hongkong zurückkehren müssen, gerade jetzt, da ich das Haus endlich in Ordnung gebracht habe. Ein hübsches Anwesen, finden Sie nicht? Es hat mich erstaunt, dass ich hier ein derart komfortables Haus bekommen konnte, denn ich hatte schon befürchtet, ich müsste selbst bauen. Kommen Sie, ich führe Sie herum. Anschließend können wir einen Happen essen. Ich habe nicht oft Besuch. Bin neu in der Stadt, Sie wissen ja, wie das ist.«
Lyle war nörgelig und wirkte gebrechlicher, als Mal ihn in Erinnerung hatte. Deshalb gab er sich Mühe, freundlich zu dem alten Herrn zu sein, während er ihm durchs Haus mit dem Empfangssaal, dem beeindruckenden Speisezimmer, dem gemütlichen Salon und der Bibliothek folgte und dabei den Schilderungen der Probleme mit der Oriental Shipping Line lauschte.
Zu Mals Erleichterung gehörte das obere Stockwerk nicht zur Besichtigungstour; zum Abschluss brachte Lyle ihn zu einer weiteren Tür am Ende des Flurs.
»Das hier ist mein ganzer Stolz. Oben habe ich noch einmal genau dasselbe. Was halten Sie davon?«
Mal bewunderte das weiß geflieste Badezimmer mit der riesigen Wanne, fließendem Wasser und einem Spülklosett. »Das ist wirklich ein Schmuckstück. So etwas hätte ich auch gern in meinem Haus!«
»Sie wollen bauen? Dann, mein guter Freund, brauchen Sie nicht lange zu suchen. Gleich nebenan ist ein Grundstück frei, und zwar ein sehr hübsches. Sie sollten sofort zugreifen.«
»Danke, Sir, aber ich möchte lieber zurück in den Busch. Ich suche nach einem Stück Land für bestimmte Zwecke … Schafzucht.«
Lyle wirkte enttäuscht. »Wie Sie meinen«, murmelte er. »Dann zeige ich Ihnen jetzt den Garten.«
Bevor sie auf eine Terrasse an der Seite des Hauses traten, gab Lyle einer Frau, die auf dem Flur erschienen war, Anweisungen fürs Mittagessen.
»Das ist meine Haushälterin«, sagte er zu Mal. »Hässlich wie die Sünde, aber eine tüchtige Kraft. Constance konnte sie nie leiden.«
Inzwischen hatte Mal die Hoffnung fast aufgegeben, dass Lyle seine Frau erwähnen würde. Doch nun bot sich ihm endlich eine Gelegenheit.
»Lady Horwood ist in St. Clement’s«, begann er, weil ihm keine taktvollere Einleitung einfiel.
»Wer hat Ihnen denn das erzählt? Ach, da brauche ich nicht lange zu überlegen. Bestimmt war es diese Plummer, die überall herumposaunt, ich hätte meine Frau in eine Anstalt gesteckt. Ein grässliches Frauenzimmer. Seit sie das überall rumerzählt, sind die Leute richtiggehend unhöflich zu mir.«
In seiner Aufgebrachtheit vergaß Lyle sein Vorhaben, Mal den Garten zu zeigen, und ließ sich in einen großen Rattansessel auf der Terrasse fallen. Dann forderte er Mal auf, Platz zu nehmen. »Ich tue mein Bestes für meine Frau«, stöhnte er. »Es kostet mich eine Stange Geld, sie dort behandeln zu lassen. Und welchen Dank ernte ich dafür? Nichts als Klagen. Selbst Raymond steht nicht mehr auf meiner Seite.«
»Was geschieht mit Lady Horwood, wenn Sie nach China zurückkehren?«
»Nichts. Sie ist hier in guten Händen. Außerdem kommt ihr Vater aus England hierher. Er sollte bald da sein.«
»Ihr Vater?« Beinahe hätte Mal vor Erleichterung laut aufgelacht.
»Ja, er trifft in etwa einer Woche mit der SS Liverpool in Sydney ein.«
»Das ist aber eine gute Nachricht. Doch wahrscheinlich wird er nicht sehr erfreut sein, Lady Horwood in einer Anstalt vorzufinden.«
»Was?«, brüllte Lyle. »Wie können Sie es wagen, St. Clement’s als Anstalt zu bezeichnen?«
»Weil es eine ist, Sir«, erwiderte Mal freundlich. »Es ist und bleibt eine Anstalt. Die Leute wissen das,
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