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Wind des Südens

Titel: Wind des Südens Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Patricia Shaw
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mich jetzt kräftiger, weil ich beim Spazierengehen immer mit Lavinia Schritt halten muss. Außerdem ist es sehr schön hier, und ich bin Ihnen beiden ausgesprochen dankbar. Ich weiß, dass Lavinia es gut meint, und gebe mir ja Mühe, mich nicht selbst zu bemitleiden, doch ich glaube, daran liegt es nicht. Ich bin nur so schrecklich schüchtern geworden. Mein Zucken ist nur einer der Gründe. Ich bin ratlos. Dabei bin nicht wirklich krank. Es geht mir ja gut. Ich mag nur keine Besucher, nicht einmal Eleanor und Esme. Ich ertrage sie zwar, habe ihnen aber nichts zu sagen. Ich weiß nicht, worüber ich reden soll. Alle meiden Gespräche über die China Belle . Also bin ich wieder ganz am Anfang. Mal ist die einzige Ausnahme. Allerdings gehen sie dem Thema in seiner Gegenwart ebenfalls aus dem Weg. Doch das fällt ihm offenbar nicht auf. Ich habe gehört, wie er erzählte, Jake hielte sich in einer Stadt namens Goulburn auf, in der er geboren ist. Ich habe auf einer Karte nachgeschaut, wo das ist: westlich von Sydney. Obwohl ich es kaum erwarten kann, meinen Vater wiederzusehen, wird er erschrocken sein. Er hätte mich auf einen Besuch nach Hause kommen lassen sollen, als ich ihn bei seinem letzten Aufenthalt in Hongkong darum gebeten habe. Damals fühlte ich mich elend, also ist mein jetziger Zustand eigentlich nichts Neues. Auch er wird alles über das Drama auf der China Belle wissen wollen. Und, o Gott, was wird er von mir denken, nachdem ich mit all diesen Verbrechern allein war? Gut, dass kein Mensch gesehen hat, wie mir das Abendkleid in Fetzen vom Leibe hing. Vielleicht schlägt Daddy sich auf Lyles Seite und schämt sich meinetwegen.« Sie spürte, dass sie – wie so häufig – errötete.
            Lyle kam, um sich zu verabschieden. Er war auf dem Weg nach Hongkong und konnte nicht genau sagen, wann er zurückkehren würde. Sie hörte, wie er Lavinia und Raymond erklärte, das Haus stehe für Constance und ihren Vater bereit; die Haushälterin würde sich um alles kümmern.
            »Aber nicht, wenn ich dort wohnen soll«, murmelte Constance. Allerdings bot ihr Lyles Abwesenheit die Möglichkeit, ihre Siebensachen aus dem Haus zu schaffen.
            Doch wohin sollte sie alles bringen? Tränen der Wut traten ihr in die Augen, als sie sich an ihren Frisiertisch setzte, um sich die Nägel zu polieren. Sie blickte auf und zupfte das Laken zurecht, das den Spiegel verdeckte, und warf dann einen prüfenden Blick auf den Drehspiegel. Auch dort war das Laken noch an Ort und Stelle. Mit einem zufriedenen Nicken wandte Lady Horwood ihre Aufmerksamkeit wieder ihren bis aufs Nagelbett abgekauten Nägeln zu.
             
            Jake hatte das dichte Gebüsch gerodet, das die Hütte am Fuße des Hügels beinahe überwuchert hatte. Er hatte Bäume gefällt und die Wurzeln entfernt, so dass der Stapel Feuerholz an der Hintertür stetig wuchs. Mit einer Machete hatte er das hohe Gras und das Dornengestrupp im ehemaligen Garten gemäht, und er hatte die vermoderten Möbel aus dem Haus geschleppt und alles zusammen verbrannt. Anschließend überlegte er, ob er gleich die ganze Hütte abbrennen und wieder von vorn beginnen sollte, entschied ich aber anders: Er riss die hintere Wand ein und legte das Fundament für ein größeres Haus. Währenddessen dachte er die ganze Zeit darüber nach, wie klein ihm die Hütte inzwischen erschien. Bei seiner Rückkehr hatte er erschrocken festgestellt, dass sie für ihn zu einem winzigen Häuschen mit einer briefmarkengroßen Veranda geschrumpft war. Diese hatte damals kaum für die beiden Stühle seiner Eltern genügt, so dass Sohn Jake auf den Stufen hatte sitzen müssen.
            Der Tag, der warm und sonnig begonnen hatte, kühlte allmählich ab. Jake erinnerte sich an das Gerede der Leute, in Goulburn könne man mehrere Jahreszeiten an einem einzigen Tag erleben, was er nun am eigenen Leibe zu spüren bekam. Er ging zu dem verfallenen Zaun hinüber, wo er sein Hemd aufgehängt hatte. Gerade als er danach greifen wollte, hörte er einen Schuss und einen ohrenbetäubenden Knall; die Kugel schlug in einen Zaunpfahl ein.
            Ein Reiter stand am Tor. Er trug eine Jacke aus Lammfell und hatte einen Hut aus ungegerbtem Leder auf dem Kopf. Außerdem hatte er ein Gewehr bei sich, das er anlegte und damit auf Jake zielte. Dieser starrte den Fremden entgeistert an. Er hatte gewusst, dass Willoughby früher oder später hier aufkreuzen würde;

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