Wind des Südens
es war nur eine Frage der Zeit. Dennoch hatte er sich darauf verlassen, dass er den Mistkerl richtig eingeschätzt hatte: Willoughby, der ruhige, zurückgezogene Junge aus dem Busch, würde nie jemanden kaltblütig abknallen.
»Gut, Willoughby!«, rief er. »Sie hatten Ihren Spaß. Und jetzt verschwinden Sie.«
Sein Mut war nur aufgesetzt. Bestimmt war Willoughby nicht den ganzen Weg hierher gekommen, um sich nach einem Warnschuss wieder zu trollen. Jake ahnte, dass ihm eine Auseinandersetzung bevorstand, und er war froh über die entbehrungsreichen Monate auf den Goldfeldern. Er war in dieser Zeit kräftig geworden, was ihm in den letzten Tagen sehr geholfen hatte. Denn das Roden war anstrengender gewesen als erwartet.
»Passen Sie auf, Willoughby …«, begann er und machte einen Schritt vorwärts.
Er sah das Gewehr, dessen Lauf wie ein Auge funkelte. Der Finger krümmte sich um den Abzug, und dann ertönte zu seinem Entsetzen ein durchdringender Knall. Jake wurde wie eine Stoffpuppe rückwärts in den Holzstapel geschleudert.
Am Abend vor seinem Aufbruch nach Sydney – und zwar auf demselben Schiff wie Lavinia und Lady Horwood – führte Mal ein Gespräch mit Esme.
Er ließ sie reden und ermunterte sie, ihm auch die unbedeutendste Kleinigkeit anzuvertrauen – über sich selbst, über Neville und über ihre Ehe. Sie erklärte ihm, die Caporns seien arm wie die Kirchenmäuse in dieses Land gekommen, um ein neues Leben anzufangen. Sie hatten in verschiedene Unternehmen im Osten investiert, nachdem Neville aus dem Staatsdienst ausgeschieden sei. Allerdings hätten sie kein Glück dabei gehabt. Esme berichtete ihm so viel sie konnte, ohne ihn belügen zu müssen.
Sie erzählte Mal, sie wisse von Jesse sowie aus dem Album mit Zeitungsausschnitten über den Goldraub, das der Reporter angelegt hatte, bereits viel über ihn.
»Und die Morde«, ergänzte Mal. »Kein Grund, das unter den Tisch fallen zu lassen. Man hat mich auch des Mordes an den Wachen beschuldigt.«
»Ich weiß«, erwiderte sie leise. »Es muss schrecklich gewesen sein.«
»Ich habe Schlimmeres erlebt.«
Esme schluckte. »Und jetzt willst du Tussup suchen?«
»Ich habe ihn gefunden.«
»Ja, ich meinte damit nur, ob du wieder fortwillst.«
»Ja.«
»Was wird aus uns beiden? Ich werde dich vermissen. Verdammt, ich liebe dich. Was erwartest du von mir?«
»Das ist ja das Problem, Es. Ich weiß es nicht. Auf meine Weise liebe ich dich auch. Ständig sage ich mir, dass ich mich häuslich niederlassen und Schafe züchten möchte. Doch ich bin mir nicht mehr sicher, ob das noch stimmt. Vielleicht mache ich mir ja etwas vor. Und du, Es? Bin ich wirklich der Mensch, den du jetzt brauchst? Ein Freund? Es könnte sich mehr daraus entwickeln.«
»Soll das heißen, es ist noch zu früh für uns?«
»Könnte sein … ich glaube, schon … warum lassen wir uns nicht noch ein bisschen Zeit?«
Esme war wütend. »Meinetwegen. Wenn du es unbedingt so haben willst. Doch vielleicht bin ich ja nicht mehr da, wenn du deine Meinung änderst. Verlange nicht von mir, dass ich dasitze und auf dich warte. Geh nur und übe Rache, Mal Willoughby. Nachdem du Tussup erledigt hast, wirst du jemanden anderen finden, den du hassen kannst. Und das passt überhaupt nicht zu dir. Jetzt verschwinde und lass mich in Ruhe.«
Als sie auf dem Absatz kehrt machte und davonstürmte, ließ sie einen verwirrten Mal zurück. Er hatte gedacht, dass sie verstehen würde, was er ihr sagen wollte. Mit einem solchen Wutausbruch hatte er nicht gerechnet. Er überlegte, ob er ihr nachlaufen sollte, doch das würde sie vermutlich noch mehr in Rage bringen. Außerdem … hielt sie ihn wirklich für rachsüchtig? Hatte sie möglicherweise Recht?
Mal erschauderte. War er unfähig zur Liebe? Hatte er wirklich nicht genug Gefühle für Esme? Wenn das stimmte, dann hatte sie etwas Besseres verdient.
Als er bedrückt durch die menschenleeren Straßen ging, gellte der traurige Ruf eines Brachvogels in seinen Ohren.
Mit einem langen weißen Mantel aus Shantungseide, einem breitkrempigen lackierten Strohhut und einem
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