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Wind des Südens

Titel: Wind des Südens Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Patricia Shaw
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hatte.
            »Dann kommen Sie mit«, sagte der Priester und strebte ohne zu zögern dem offenen Tor zu.
            Mal holte tief Luft, fragte sich, wem er denn trauen sollte, wenn nicht einem Priester, und folgte ihm auf den Haupthof und in die Richtung einer hohen Treppe. Bis zu ihr gingen sie jedoch nicht, sondern folgten einer Gasse durch ein Labyrinth von Wohnungen. Im Lauf der Jahre hatte sich Mal mit dieser Art von Herrenhäusern reicher Chinesen vertraut gemacht, und er wusste, dass die verschiedenen Wohnungen und Gärten getrennte Wohneinheiten von Familienmitgliedern waren, doch gewöhnlich gab es einen, der über alle anderen das Kommando führte. Er hoffte, dass es in diesem Fall nicht ausgerechnet der Prinz war, denn mittlerweile nahm seine Nervosität gehörig zu, und er hütete sich vor dunklen Ecken.
            Doch der Priester ging weiter, und Mal folgte ihm, bis sie seiner Meinung nach bald ein Hintertor hätten erreichen müssen, und da war es auch schon, und daneben ein kleiner Tempel.
            Mal führte gemeinsam mit dem Priester die erforderlichen Zeremonien aus, kniete nieder, versuchte zu beten, sich zu konzentrieren, zündete vor dem geschmückten Altar Kerzen an, stand geduldig und mit gesenktem Haupt, als zwei weitere Priester hinzukamen, um dem ersten zu assistieren. Ihr Singsang weckte in Mal ein merkwürdiges Gefühl der Hoffnung, das sehr deutliche Gefühl, dass Jun Lien in der Nähe war, und als die Zeremonie dem Ende zuging, geleitete man ihn in eine kleine, mit Blumen und Tüchern geschmückte steinerne Krypta. Das Türchen stand offen, und er wurde aufgefordert, einen Blick in den Raum zu werfen.
            Dort stand auf einem Podest, direkt vor ihm, Jun Liens silberne Urne.
            Mals vergoss Tränen der Dankbarkeit, des Glücks – ein sonderbares Gefühl zu einem derart traurigen Anlass, dachte er, aber es war eine wunderschöne Grotte, und Jun Lien war zu Hause. Nichts anderes war wichtig.
            Er verbrachte eine Weile schweigend bei ihr, allein mit ihr, wie es für immer hätte sein sollen, und als er sich umwandte, stand der Priester hinter ihm.
            »Wir müssen jetzt gehen«, sagte er.
            »Ja. Aber bevor ich abreise, würde ich gern Jun Liens Eltern sehen.«
            Der Priester sog vor Nervosität scharf den Atem ein. »Tut mir Leid. Sie gewähren Ihnen keine Audienz. Nur dank der Gnade Gottes und dank unserer Bitten wurde Ihnen dieser Wunsch erfüllt.«
            »So sehr hassen sie mich?«
            »Das ist kein Hass, Mr. Willoughby, sondern Schmerz. Und Ihr gebrochenes Versprechen. Doch es wird vorübergehen. Gebete werden sie wieder auf eine vernünftigere Ebene führen, wenn sie akzeptiert haben, das Jun Liens Tod Gottes Wille war. Aber Sie haben ihre geliebte Tochter heimgebracht, und wenngleich sie es nicht eingestehen können, besonders die Dame Xiu Ling Lu, haben sie doch Achtung vor Ihrer Freundlichkeit.«
            In diesem Augenblick hob Mal den Kopf und glaubte, Jun Lien an einem Fenster zu sehen, doch es war ihre Mutter, die dort stand und ihn beobachtete. Erstaunlicherweise beunruhigte ihn ihre Gegenwart nicht, sondern vermittelte ihm vielmehr ein Gefühl der Erleichterung. Er nahm an, dass er in der Familie nie wieder akzeptiert werden würde, aber immerhin war er auch kein Feind mehr.
            Es war an der Zeit heimzureisen.
             
            Mal bedankte sich bei dem Priester und ging durch das Haupttor zurück. Dass Chang aus der Menge auf dem Platz auftauchte, überraschte ihn nicht.
            »Hab ich mir doch gedacht, dass die Neugier dir keine Ruhe lassen wird«, grinste er.
            »Stimmt. Man muss doch wissen, wie die Sache ausgegangen ist. Fliehen Sie jetzt, Sir, oder hat man Sie mit Ehren überhäuft?«
            »Weder noch. Ich durfte Jun Liens letzte Ruhestätte sehen, mehr nicht. Jetzt reise ich zurück nach Tientsin. Begleiten Sie mich?«
            »Ja, natürlich, Sir. Man muss einen Vertrag so gut erfüllen, wie man kann. Aber ich möchte noch etwas anderes mit Ihnen besprechen. Ich interessiere mich sehr für Ihre Goldfelder. Anscheinend sind sie Orte von großer Pracht und Herrlichkeit.«
            »Sind sie nicht. Es sind hässliche, schreckliche Orte. Und gefährlich. Die Gier nach Gold treibt Menschen in den Wahnsinn.«
            »Aber die Leute graben

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