Wind des Südens
Weg in die Verarmung geführt hatte.
Esme erinnerte sich der Demütigung, die sie im Alter von zwölf Jahren erdulden musste, als sie aus ihrem schönen Haus in Surrey in eine hässliche Wohnung an der Edgware Road ziehen mussten. Und den Eltern schien es gleichgültig zu sein, das war das Schlimmste daran! Sie tranken weiterhin reichlich, scherzten miteinander, dass der Wein heutzutage billiger sei, spielten Karten, rasten mit öffentlichen Transportmitteln zu den Rennen, und Esme hasste sie. Sie hasste es, Miss Fortunes College für junge Damen verlassen und in der elenden Schule am Ende der Straße dahinvegetieren zu müssen. Ihr Bruder Arthur aber war am Boden zerstört, als er Eton verlassen musste.
»Davon geht die Welt nicht unter«, sagte die Mutter zu Esme. »Dort lernt man sowieso nicht viel.«
»Vielleicht sollten wir nach Russland ziehen. Dann hätte er wenigstens eine Ausrede für seinen Abgang von der Schule«, schlug sie vor und erntete einen Heiterkeitsausbruch von ihrer Mutter.
»Liebes Kind, ins Ausland zu gehen ist keine Ausrede. Hör doch bitte auf, dich zu sorgen. Wir sind nicht völlig pleite. Sagen wir, wir sind nur schwer angeschlagen.«
»Aber Arthur wollte in Oxford studieren. Daddy war auch in Oxford.«
»Ich weiß, aber was hat Daddy nun davon? Er weiß eine Menge über Geschichte und Cricket und sonst herzlich wenig, abgesehen von Pferden, versteht sich. Die Zeiten haben sich geändert. Arthur muss lernen, sich seinen Lebensunterhalt selbst zu verdienen, oder eine sehr reiche Dame heiraten. Das Gleiche gilt für dich.«
Als er sechzehn war, fand man für Arthur eine Stelle als Bankangestellter, die er hasste. Ein Jahr hielt er durch, dann wurde ihm gekündigt.
»Ich war nie gut im Rechnen«, erklärte er betrübt seiner Schwester. Doch die Eltern, inzwischen unerbittlich auf der Suche nach einem Beruf für Arthur, spannten hilfreiche Freunde ein, und Arthur trat eine Stelle nach der anderen an, und keine wollte ihm gefallen, am wenigsten die als Verkäufer bei einem Herrenausstatter.
»Sie sind so widerlich ungehobelt«, sagte er zu Esme.
»Wer?«
»Alle. Die Kunden sind schlimm genug, aber die Verkäufer sind unausstehlich. Ich halte es nicht mehr aus. Ich habe versucht, in die Armee einzutreten, weißt du, aber sie haben mich nicht genommen. Wegen meiner Lunge – ziemlich schwach, sagen sie.«
»Ach, komm, Kopf hoch. Dir bleibt immer noch die Kirche.«
»Du solltest dich nicht über mich lustig machen.«
»Tu ich ja nicht. Jetzt fangen sie an, auf mir herumzuhacken. Wollen mich irgendwo zur Arbeit schicken, weil ich nicht hübsch genug bin, um mir ohne große Mitgift einen reichen Mann zu angeln.«
»Das tut mir Leid, Es.«
»Keine Angst, ich werde es überleben.«
Arthur hingegen überlebte es nicht.
Er erhängte sich am Tag nach Esmes achtzehntem Geburtstag an einem Baum unten am Fluss.
Und Esme lernte auf der Beerdigung Neville Caporn kennen, seinen Freund aus der Schulzeit in Eton.
Gemeinsam verließen sie den Friedhof, Neville und Esme ganz allein, und unterhielten sich. Neville war entsetzt darüber, dass sein Freund sich das Leben genommen hatte, und hörte traurig zu, als Esme ihm die Gründe darlegte. Er war ein guter Zuhörer. Er lud sie in ein warmes Kaffeehaus ein, wo sie sich ans Feuer setzten, und Esme schüttete ihm ihr sorgenvolles Herz aus. Sie erzählte ihm von Arthurs letzter Arbeitsstelle, und er war so aufgewühlt, dass ihm, als sie das Kaffeehaus verließen, eine glänzende Idee kam.
»Gehen wir hin! Statten wir ihnen einen Besuch ab!«
Sie rannten fast den gesamten Weg, gingen dann ein paar Mal an dem Geschäft vorüber und traten schließlich ein.
Neville gab sich über alle Maßen hochmütig, und man bot Esme einen bequemen Sessel an, während er überlegte, was er kaufen sollte. Es bereitete ihr diebische Freude, sein unverschämtes Benehmen zu beobachten, als er sich die besten Jacketts, Hüte, Krawatten und Socken zeigen ließ. Nahezu jede Schublade im Geschäft wurde geöffnet, während der Verkäufer, der ihren Bruder so schlecht behandelt hatte, sich eifrig um Neville bemühte.
Weitere Kostenlose Bücher