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Wind des Südens

Titel: Wind des Südens Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Patricia Shaw
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mächtige Familie auf tragische Weise ums Leben kam. Warum sollten sich Fremde an einer solchen Untat bereichern?
            »Ich möchte, dass Sie einen Brief schreiben«, sagte Mr. Willoughby.
            »An wen, Herr?«
            »An die Dame Xiu Ling Lu, und geben Sie jetzt keine Widerworte.«
            Changs Hand zitterte, als er gehorsam die Schriftzeichen für diesen empörenden Brief malte.
            »Verehrte Dame, ich schreibe Ihnen mit dem Ausdruck meiner großen Zuneigung, trotz des Schmerzes, dessentwegen Sie Ihr Antlitz von mir abgewandt haben. Ich teile diesen Schmerz und werde ihn für den Rest meines Lebens in mir tragen. Wie man mir sagte, drohen Sie mir mit dem Tod, falls ich nicht binnen Stunden abreise. Wenn Sie es wünschen, dann sei es so. Ich jedoch weigere mich abzureisen, bevor ich an der Begräbnisstätte meiner geliebten Frau gestanden habe. Ich muss in der Lage sein, mich an den Ort zu erinnern, damit ich sie in Gedanken dort suchen kann. Und dann will ich unterschreiben.«
            Als Chang zum Ende des Briefes kam, schlug er vor, zum Schluss wenigstens noch eine gewisse Demut zu zeigen, doch Mr. Willoughby schüttelte den Kopf.
            »Keine Sorge. Die Zeit für Demut ist vorüber. Diese Drohung, mich umzubringen, falls ich nicht verschwinde, ist Blödsinn. Wenn sie so rachsüchtig ist, kann sie mich ermorden lassen, wo immer ich mich aufhalte, sogar in meiner Heimat. Ich muss die Sache hier vor Ort erledigen. Ich habe keine Lust, mein Leben in Angst vor irgendwelchen Attentätern zu verbringen. Und sehen Sie mich nicht so erschrocken an. Dieses Mal überbringe ich den Brief persönlich.«
            »Dann sollten Sie gut bewaffnet gehen«, sagte Chang kalt.
            »Keine Angst, ich werde mit dem Rücken zur Wand, die geladene Waffe in der Hand, warten, falls Sie das beruhigt.«
            »Beruhigt bin ich erst, wenn wir das Dorf hinter uns gelassen haben.«
            »Dann gehen Sie jetzt, Chang. Ich bestehe darauf.«
            Der Abschied verlief sehr förmlich. Chang war voller Angst, und sein Herr war grimmig entschlossen, bis zum Ende bei seiner Frau zu bleiben.
             
            Mal ritt durch ein weiteres Dorf, bevor er die Straße erreichte, die zur Residenz der Xiu führte. Er wusste, dass sein Freund Mr. Xiu Lan Tan zurzeit nicht zugegen war. Zina hatte ihm berichtet, dass der Herr sich mit seiner Frau und seinen Enkeln weiter in den Norden zurückgezogen hatte. Mr. Xiu hätte vielleicht als Vermittler einspringen können, vielleicht aber auch nicht, überlegte Mal traurig. Vielleicht war sein alter Freund genauso von Zorn und Schmerz erfüllt wie Ling Lu.
            Als er sich dem Dorf näherte, sah er die Mauern der Residenzen der Xiu, die sich über die dicht gedrängten Hütten und Häuser der Dorfbewohner erhoben, und er fühlte sich bedroht.
            Mal gestand sich ein, dass er nervös war. Mutig? Keineswegs. Doch er musste es tun. Er würde Jun Lien bis zu ihrer letzten Ruhestätte begleiten, wie er es ihr versprochen hatte, als er sie auf dem Deck jenes Schiffes in den Armen gehalten hatte. Als er ihren armen leblosen Körper mit dem triefend nassen Haar gehalten hatte … Ein Schluchzen stieg in ihm auf, und er wischte sich die Augen. Wischte sich den Staub aus den Augen. Anscheinend war es kälter geworden, und er klappte seine Ohrschützer herunter, knöpfte den Mantel am Hals zu und trieb das Pferd zu einem leichten Trab an.
             
            Nachdem er den Brief überbracht hatte, ging er zu einem der zahlreichen Straßenbuden am südlichen Tor und erstand eine Schale nahrhafter Suppe, die er, gefolgt von vier scharf gewürzten Crêpes, rasch verspeiste, dann setzte er sich ans Tor und wartete. Seine Waffe war unter den Falten seiner Kleidung verborgen, aber nicht geladen. Es war so friedlich, und er hatte Angst, Panik heraufzubeschwören, falls er die Waffe frech zur Schau stellte.
            Er hatte alle Zeit der Welt, dort zu sitzen und sich umzusehen, und er erfreute sich an dem geschäftigen Treiben der Menschen auf den Straßen, die aßen, einkauften, mit Händlern, welche von Seide bis zu Gewürzen so ziemlich alles verkauften, feilschten und Pferdekarren auswichen, die sich durch die engen Gassen quälten. Er hatte sich schon immer an den vielen Menschen auf lebhaften Marktplätzen wie diesem erfreut, und die Zeit

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