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Wind (German Edition)

Wind (German Edition)

Titel: Wind (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Stephen King
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hatte offenbar doch zugehört. Draußen schwoll der auffrischende Wüstensturm zu einem Heulen an, schwächte sich dann aber wieder zu einem gedämpften Brausen ab.
    »Aye, Young Bill. Er hat die Waffe aufgehoben, links in seinen Gürtel gesteckt und in den folgenden zehn Jahren seines Lebens dort getragen. Danach hat er größere Revolver getragen – Sechsschüsser.« Damit war diese Geschichte zu Ende, und ich schloss mit genau den Worten, mit denen meine Mutter all die Geschichten beendet hatte, die sie ihrem kleinen Jungen in dessen Turmzimmer vorgelesen hatte. Es machte mich traurig, diese Worte aus dem eigenen Mund zu hören. »Und so geschah es einst vor langer Zeit, lange bevor der Großvater deines Großvaters geboren war.«
    Draußen sank die Abenddämmerung herab. Vermutlich würde die Gruppe, die in die Vorberge hinaufgeritten war, doch erst morgen mit den reitfähigen Salzhauern zurückkehren. Aber war das wirklich so wichtig? Während ich Young Bill die Geschichte von Young Tim erzählt hatte, war mir nämlich ein unbehaglicher Gedanke gekommen. Wäre ich der Fellmann und würde vom Sheriff und einer Handvoll Hilfssheriffs (von einem jungen Revolvermann aus dem fernen Gilead ganz zu schweigen) gefragt, ob ich satteln, aufsitzen und reiten könne – würde ich das zugeben? Bestimmt nicht. Das hätte uns gleich klar sein müssen, aber Jamie und ich waren natürlich noch sehr jung und hatten wenig Erfahrung darin, was Gesetzeshüter alles zu bedenken hatten.
    »Sai?«
    »Ja, Bill?«
    »Ist Tim später ein Revolvermann geworden? Er war doch einer, oder?«
    »Als er einundzwanzig war, sind drei Männer, die schwere Kaliber trugen, durch Tree gekommen. Sie waren nach Tavares unterwegs und hofften, einen Trupp zusammenstellen zu können, aber Tim war der Einzige, der bereit war mitzukommen. Sie haben ihn den Linkshänder genannt, denn so hat er gezogen und geschossen.
    Er ist mit ihnen geritten und hat sich glänzend bewährt, denn er war furchtlos und ein ausgezeichneter Schütze. Sie haben ihn auch Tet-Fa, das heißt Freund des Tets, genannt. Und später kam der Tag, an dem er ka-tet wurde: einer der ganz wenigen Revolvermänner, die nicht aus der bewährten Linie des Elds stammten. Aber wer weiß? Wird nicht auch erzählt, dass Arthur viele Söhne von drei Frauen und noch viel mehr hatte, die auf der dunklen Seite der Bettdecke geboren wurden?«
    »Ich weiß nicht, was das heißen soll.«
    Dafür hatte ich Verständnis; noch zwei Tage zuvor hatte ich selbst nicht gewusst, was ein Langstab war.
    »Schon gut. Er war erst als Linkshänder Ross und dann – nach der großen Schlacht am Cawn-See – als der unerschrockene Tim bekannt. Seine Mutter hat bis ans Ende ihrer Tage als große Dame in Gilead gelebt, hat meine Mutter mir erzählt. Aber alle diese Dinge sind …«
    »… eine Geschichte für einen anderen Tag«, schloss Bill. »Das sagt mein Da’ immer, wenn ich mehr hören will.« Er verzog das Gesicht, und sein Lächeln verschwand. Offenbar erinnerte er sich an das Blutbad in der Schlafbaracke und den Koch, der mit der Schürze über dem Gesicht gestorben war. »Das hat er gesagt.«
    Ich legte ihm wieder einen Arm um die Schultern – eine Geste, die sich diesmal etwas natürlicher anfühlte. Er war ein guter Junge. Ich beschloss, ihn nach Gilead mitzunehmen, falls Everlynne ihn nicht bei sich in Serenitas aufnehmen wollte … aber ich war davon überzeugt, dass sie sich nicht weigern würde.
    Draußen tobte und heulte der Sturm. Ich achtete auf das Klingeling, aber es blieb stumm. Bestimmt war die Leitung irgendwo unterbrochen.
    »Sai, wie lange war Maerlyn als Tyger in dem Käfig gefangen?«
    »Das weiß ich nicht, aber bestimmt sehr lange.«
    »Was hat er denn gegessen?«
    Das war eine Frage, über die ich nie nachgedacht hatte. Cuthbert hätte sich sofort etwas einfallen lassen, aber ich war einfach nur ratlos.
    »Wo er doch in das Loch gekackt hat, muss er auch was gegessen haben«, sagte Bill, womit er wohl recht hatte. »Wer nichts isst, kann nicht kacken.«
    »Ich weiß nicht, was er gegessen hat, Bill.«
    »Vielleicht konnte er sich auch als Tyger noch Essen herzaubern. Aus der Luft, meine ich.«
    »Ja, so wird es wohl gewesen sein.«
    »Hat Tim denn den Turm erreicht? Bestimmt gibt es da auch irgendwelche Geschichten.«
    Bevor ich antworten konnte, kam Strother, der dicke Hilfssheriff mit dem Hutband aus Klapperschlangenleder, ins Gefängnis herüber. Als er sah, wie ich dem Jungen den Arm

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