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Wind (German Edition)

Wind (German Edition)

Titel: Wind (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Stephen King
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schlanker Taille, langem Haar und lachenden Augen verhext. Er hatte gehofft, ihr Zauber würde im Lauf der Jahre verblassen, aber das war nicht der Fall gewesen. Zuletzt hatte er sie einfach haben müssen. Warum hätte er sonst seinen ältesten Freund ermorden sollen?
    Und hier war nun der Junge, der einen Gejagten aus ihm gemacht hatte. Die Schlampe war schon schlimm genug, ihr Balg aber noch weitaus schlimmer. Und was hatte er da in seinem Gürtel stecken? Götter, war das etwa eine Schusswaffe? Wo hatte er die bloß her?
    Kells würgte Tim, bis der Junge sich nicht mehr wehrte und nur noch keuchend in den Pranken des Holzfällers hing. Dann riss er ihm die Waffe aus dem Gürtel und warf sie beiseite.
    »Eine Kugel wäre zu gut für ’nen Wichtigtuer wie dich«, sagte Kells. Er brachte seinen Mund dicht an Tims Ohr heran.
    Tim spürte undeutlich – als wichen alle Sinneswahrnehmungen tief ins Innere seines Körpers zurück –, wie der Bart seines Stiefvaters seine Haut kitzelte.
    »Auch das Messer, mit der ich der alten Hexe die Kehle aufgeschlitzt habe, wäre zu gut für dich. Für dich ist Feuer genau das Richtige, Balg. Im Kamin liegt noch reichlich Glut. Mehr als genug, deine Augäpfel zu braten und dir die Haut vom …«
    Ein dumpfer Schlag war zu hören. Ein Geräusch, als zerteilte ein Beil etwas Fleischiges. Die würgenden Hände erschlafften. Tim drehte sich um und atmete keuchend Luft ein, die wie Feuer brannte.
    Kells stand neben Big Ross’ Sessel und starrte über Tims Kopf hinweg ungläubig den grauen Feldsteinkamin an. Auf den rechten Ärmel seines karierten Flanellhemds, an dem noch Heu aus seinem Versteck in Rincons Scheune haftete, prasselte Blut herab. Über dem rechten Ohr wuchs ihm ein Axtstiel aus dem Kopf. Hinter ihm stand Nell Ross, deren Nachthemd voller Blutspritzer war.
    Langsam, ganz langsam drehte Big Kells sich nach ihr um. Er berührte die in seinem Kopf steckende Axt, dann streckte er ihr seine blutige Hand entgegen.
    »Und damit ist unser Eheband durchtrennt, garstiger Mann!«, kreischte Nell ihm ins Gesicht, und als wären ihre Worte tödlicher als die Axt gewesen, brach Bern Kells zusammen.

Tim schlug die Hände vors Gesicht, als wollte er nichts mehr sehen und diese Szene aus seinem Gedächtnis tilgen … obwohl er recht gut wusste, dass sie ihm sein Leben lang vor Augen stehen würde.
    Nell legte ihm einen Arm um die Schulter und führte ihn auf die Veranda hinaus. Es war ein sonniger Morgen, und der Raureif auf den Feldern taute bereits, sodass ein leichter Dunstschleier in der Luft hing.
    »Alles in Ordnung, Tim?«, fragte sie.
    Er atmete tief durch. Das tat immer noch weh, aber wenigstens brannte die Luft nicht mehr wie Feuer. »Ja. Mit dir auch?«
    »Mir geht’s gut«, sagte sie. » Uns geht’s gut. Es ist ein herrlicher Morgen, und wir leben und können uns an ihm erfreuen.«
    »Aber die Witwe …« Tim weinte.
    Sie setzten sich auf die Verandatreppe und blickten auf den Hof hinaus, auf dem noch vor Kurzem der Steuerbeauftragte der Baronie auf seinem Rappen gesessen hatte. Schwarzes Pferd, schwarzes Herz, dachte Tim.
    »Wir werden für Ardelia Smack beten«, sagte Nell. »Und ganz Tree wird zu ihrer Beerdigung kommen. Ich behaupte nicht, dass Kells ihr einen Gefallen getan hat – ein Mord kann niemals ein Gefallen sein –, aber sie hat in den letzten drei Jahren schrecklich gelitten und hätte ohnehin nicht mehr lange zu leben gehabt. Wir sollten jetzt ins Dorf fahren und nachsehen, ob der Konstabler aus Taveres zurück ist. Unterwegs kannst du mir alles erzählen. Hilfst du mir, Misty und Bitsy anzuschirren?«
    »Ja, Mama. Aber ich muss erst noch was holen. Etwas, was sie mir gegeben hat.«
    »Ist recht. Aber sieh dir möglichst nicht an, was dort drinnen liegt, Tim.«
    Er sah es sich nicht an. Er hob nur die Waffe auf und steckte sie sich in den Gürtel …

Der Fellmann
    (Teil 2)

»Er sollte sich nicht ansehen, was drinnen lag – also die Leiche seines Stiefvaters –, und er hat versprochen, das auch nicht zu tun. Und hat es auch nicht getan. Aber er hat die Waffe aufgehoben und sich in den Gürtel gesteckt …«
    »Den Vierschüsser, den die Witwe ihm gegeben hat«, sagte Young Bill Streeter. Er saß unter dem mit Kreide gezeichneten Stadtplan von Debaria an die Wand der Zelle gelehnt, hielt den Kopf gesenkt und hatte seit längerer Zeit nichts mehr gesagt, sodass ich schon glaubte, der Junge wäre eingeschlafen und ich selbst mein einziger Zuhörer. Aber er

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