Wind über den Schären: Liebesgeschichten aus Schweden (German Edition)
den Ordner auf den Schreibtisch.
Seine Mutter war ihm gefolgt. Ihr Blick fiel auf den Ordner. »Manchmal frage ich mich, ob es wirklich gut war, dass du dieses Amt übernommen hast. Die Bäckerei macht schon genug Arbeit. Dein Vater jedenfalls …«
»Ach komm, Mutter, nicht schon wieder«, fiel Magnus ihr ins Wort. Er kannte diese Leier inzwischen auswendig. »Es ist alles gut, so wie es ist.«
Greta nickte, obwohl sie seine Meinung offensichtlich nicht uneingeschränkt teilte. »Ich will mir nur keine Vorwürfe machen, wenn du irgendwann zusammenklappst«, sagte sie nach einer kurzen Pause. »Schließlich habe ich dich nach Papas Tod gebeten, zurück nach Sandbergen zu kommen.«
Magnus’ Ärger schlug sofort in Mitleid um. Er wusste, wie dankbar seine Mutter ihm war, weil er sein Leben in Oslo aufgegeben hatte, und wie sehr sie sich deshalb bemühte, ihm alles recht zu machen. Dabei war der Preis gar nicht so hoch gewesen, wie sie glaubte. Als sein Vater starb, hatte er sowieso vor Veränderungen gestanden. Vera hatte ihn gerade verlassen, und außerdem machte ihm seine Arbeit in der Bäckerei eines Hotels schon eine Weile keinen Spaß mehr. Die leitende Stelle war für ein paar Jahre eine Herausforderung gewesen, hatte aber zum größten Teil Büroarbeit beinhaltet. Er hatte bei seinem Vater das Bäckerhandwerk erlernt und anschließend Betriebswirtschaftslehre studiert. Das prädestinierte ihn für diese Stelle, aber erst als er nach Sandbergen zurückgekehrt war, wurde ihm richtig klar, was ihm außer der Heimat gefehlt hatte. Es war die Arbeit in der Backstube, der Teig zwischen seinen Fingern und das Gefühl, mit seinen Händen etwas zu schaffen, das den Leuten dann, als i-Tüpfelchen, auch noch gefiel und schmeckte.
Magnus nahm seine Mutter in die Arme und küsste sie auf die Wange. »Du hast doch nur Angst, dass ich vor lauter Arbeit nicht dazu komme, dir einen Enkel zu schenken. Dabei bist du noch viel zu jung, um Enkel zu haben«, neckte er sie liebevoll.
Greta ging auf seinen leichten Ton ein. »Es geht mir nur um dich. Ich will, dass du endlich wieder froh bist. Und dass es dir gut geht.«
Magnus lächelte und setzte sich hinter seinen Schreibtisch. »Es geht mir gut«, sagte er. »Glaub es mir einfach, es ist alles in Ordnung mit meinem Leben.«
Er kannte sie gut genug, um zu wissen, dass sie ihm nicht glaubte. Die Zweifel standen ihr ins Gesicht geschrieben. Trotzdem vertiefte sie das Thema nicht weiter. »Schlaf gut«, sagte sie. »Und arbeite nicht mehr zu lange.«
Magnus reagierte nicht auf ihre letzte Bemerkung. Er wollte noch ein paar wichtige Briefe diktieren.
Seufzend schlug er den Ordner auf und betrachtete das oberste Blatt. Er nahm es heraus, konnte sich aber nicht richtig konzentrieren, also legte er das Blatt zurück in den Ordner, drehte sich auf seinem Bürostuhl um und schaute aus dem Fenster.
Sehen konnte er in der Dunkelheit nichts, außer Regentropfen, die unablässig auf der Fensterscheibe zerplatzten. Er ließ seinen Gedanken freien Lauf, und wie so oft in diesen seltenen Momenten der Ruhe wanderten sie zu den beiden einschneidenden Erlebnissen in seinem Leben. Nein, seine Mutter hatte nicht unbedingt unrecht. Sie hatte ihn nach Sandbergen geholt, aber er war freiwillig gekommen, nach allem, was passiert war. Zuerst war da die Sache mit seinem Freund Jonas gewesen. Er war der Grund gewesen, weshalb Magnus Sandbergen damals in Richtung Oslo verlassen hatte.
Es war nicht einfach gewesen in der ersten Zeit. Das Leben in der Großstadt, noch dazu in einem anderen Land, und die neuen Arbeitsbedingungen hatten ihm anfangs zugesetzt. Dann aber hatte er Vera kennengelernt und sich in sie verliebt. Durch sie hatte sein Leben eine völlig neue Perspektive erhalten. Sie war ein so ausgelassener, übermütiger Mensch und hatte ihn mit ihrer Fröhlichkeit angesteckt und mitgerissen.
Doch als Magnus konkrete Zukunftspläne entwickelte, hatte er feststellen müssen, dass Vera nicht bereit war, Verantwortung zu übernehmen.
Es war kein langwieriger, schmerzlicher Prozess der Erkenntnis gewesen. Vera hatte auf seine Pläne auf die ihr eigene Art reagiert und ihm jede Möglichkeit genommen, sich langsam an das Ende der Beziehung zu gewöhnen.
»Sie hat ihm das Herz aus der Brust gerissen«, hatte er einmal eine gemeinsame Freundin sagen hören. Magnus hatte diesen Satz stets als theatralisch empfunden, im Kern aber traf er zu. Für ihn gab es in der Folge nur einen Weg: Um sich davor
Weitere Kostenlose Bücher