Wind über den Schären: Liebesgeschichten aus Schweden (German Edition)
zu schützen, jemals wieder so verletzt zu werden, hatte er beschlossen, sich ausschließlich auf seinen Beruf und das Bürgermeisteramt zu konzentrieren.
Magnus starrte immer noch auf die dunkle Fensterscheibe. Draußen tobte der Wind ums Haus, der Regen prasselte mit unverminderter Heftigkeit gegen die Fenster. Und zum ersten Mal spürte Magnus, wie einsam ihn seine Entscheidung machte.
Am nächsten Morgen schien die Sonne von einem wolkenlos blauen Himmel. Nur die vom Sturm abgerissenen Äste und Blätter zeugten vom Unwetter der vergangenen Nacht.
Eigentlich hatte Magnus vorgehabt, an diesem Morgen sofort wieder ins Rathaus zu fahren, um die Briefe zu diktieren, auf die er sich am vergangenen Abend nicht mehr hatte konzentrieren können. Seit er das Bürgermeisteramt übernommen hatte, überließ er die Frühschicht in der Backstube zumeist seinem Bäcker Göran, mit dem sicheren Gefühl, dass er sich hundertprozentig auf diesen Mitarbeiter verlassen konnte.
Als Magnus aus dem Haus trat und die frische Luft einatmete, überlegte er es sich kurzerhand anders. Neben seiner Arbeit in der Bäckerei verbrachte er mehr Zeit im Rathaus als alle Stadträte zusammen. Er arbeitete vom frühen Morgen bis spät in die Nacht, da konnte er sich erlauben, einfach einmal eine oder zwei Stunden später zu kommen.
Magnus kam sich vor wie ein kleiner Junge, der die Schule schwänzte, als er zum Bootshaus seines Vaters fuhr und dort in das kleine Motorboot stieg.
Magnus lachte über sich selbst, während er es vorsichtig hinaus aufs Meer steuerte und schließlich richtig Gas gab. Er spürte den Wind im Gesicht, schmeckte das Salz auf seinen Lippen. Die düsteren Gedanken des vergangenen Abends fielen vollends von ihm ab.
Die Morgensonne ließ das Wasser glitzern und färbte selbst die grauen Felsen der Insel, die er gerade passierte, in einen sanften Rotton.
Es war einer dieser seltenen, kostbaren Momente, die Magnus verdeutlichten, wie sehr er seine Heimat liebte. Sein Blick glitt versonnen über das Wasser bis zum Ufer. Er hätte ewig so weiterfahren können, doch plötzlich stutzte er. Zwischen den Felsen hatte kurz etwas Rotes geleuchtet, und dann war er auch schon wieder vorbei.
Es war mehr das Gefühl, dass etwas nicht stimmte, als dass er bewusst hätte sagen können, was genau er zwischen den Felsen gesehen hatte. Er zögerte kurz, doch dann fuhr er in einem großen Bogen zurück, drosselte die Geschwindigkeit und suchte mit dem Blick das Ufer ab, bis er den roten Gegenstand wieder sah. Was war das? Er war zu weit vom Ufer entfernt, um es erkennen zu können.
Er stoppte das Boot, griff nach dem Fernglas und fokussierte die Gläser. Er stöhnte leise auf, als die Gläser zwischen den Felsen einen reglosen menschlichen Körper ganz nah heranzoomten.
Magnus zögerte keine Sekunde. Er lenkte sein Boot Richtung Felsen, bis er eine Stelle fand, wo er das Boot am Ufer festmachen konnte. Er musste ein paar Schritte gehen und über Felsblöcke steigen, zwischen denen bunte Gräser der Brise trotzten, bis er den Körper wieder sah. Es war eine Frau. Sie lag bewegungslos auf dem Felsen ganz nah beim Wasser und sah aus, als wäre sie tot.
Magnus rannte so schnell es ging über die blanken, von der Gischt nassen Felsen zu ihr.
Sie lag wie angespült auf dem Rücken, ihre Kleidung war durchnässt. Sie bewegte sich nicht, die Augen waren geschlossen, ihr schönes Gesicht schneeweiß.
Magnus beugte sich zu ihr hinunter und tastete nach ihrer Halsschlagader. Erleichtert atmete er auf, als er ihren Puls fühlte. Schwach, aber regelmäßig.
»Hallo, hören Sie mich?«, rief er sanft.
Sie rührte sich nicht. Auch als er sie abermals ansprach, zeigte sie keine Reaktion. Magnus fühlte sich hilflos, überlegte fieberhaft, was er tun sollte. Er konnte keine äußeren Verletzungen erkennen, aber er traute sich nicht, die Frau hochzuheben, aus Angst, mögliche innere Verletzungen zu verschlimmern.
Er schalt sich selbst, weil er sein Handy im Auto liegen gelassen hatte. Andererseits konnte er schlecht selbst nach Sandbergen fahren, um Hilfe zu holen, und die Frau hier alleine liegen lassen. Er wog die Möglichkeiten kurz ab und fasste einen Entschluss. Die Frau musste zum Arzt, und er war der Einzige, der ihr im Moment helfen konnte.
Er beugte sich erneut vor und fasste vorsichtig unter ihren Kopf, um sie hochzuheben. Sofort spürte er, wie seine Hand feucht wurde, viel feuchter, als ihr nasses Haar es hätte verursachen können.
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