Wind über den Schären: Liebesgeschichten aus Schweden (German Edition)
Langsam zog er die Hand hervor. Eine Welle von Panik durchfuhr ihn, als er die große Menge Blut an seinen Fingern sah. Die Frau brauchte Hilfe. Und zwar schnell.
Aus den Augenwinkeln sah Magnus, dass sich ihre Beine plötzlich bewegten. Sie stöhnte leise auf.
Er beugte sich sofort zu ihr hinunter und stützte sie, als sie versuchte, ihren Oberkörper aufzurichten. »Hallo«, sagte er freundlich, »machen Sie langsam, Sie hat es ganz schön erwischt.«
Die Frau antwortete nicht und mühte sich aufzustehen. Markus stützte sie und hielt ihre Schultern bei ihren ersten Schritten umfasst. Ärgerlich schüttelte sie ihn ab. »He, was soll das?«, rief sie mit schwacher Stimme. »Ich bin okay.«
Magnus nahm den Arm weg, griff aber sofort wieder zu, als sie leicht schwankte. Er sprach beruhigend auf sie ein. »Keine Sorge, ich tue Ihnen nichts. Ich habe Sie vom Boot aus auf dem Felsen liegen sehen und will Ihnen nur helfen.«
Die Frau zitterte jetzt am ganzen Körper. Magnus zog seinen Pullover aus und legte ihn fürsorglich um ihre Schultern. »Ich bringe Sie erst einmal zum Arzt«, sagte er mit ruhiger Stimme, während er ihren Arm stützte. »Von dort aus können Sie auch telefonieren.«
Sie schaute ihn mit großen Augen an. »Telefonieren?«, fragte sie verwirrt. »Wen soll ich denn anrufen?«
Magnus war überrascht. Die Kopfverletzung schien doch schlimmer zu sein. Er versuchte, sich seine Sorge nicht anmerken zu lassen. »Ihre Familie, Ihren Mann, irgendjemanden, der sich Sorgen um Sie machen könnte«, sagte er so beiläufig wie möglich.
Sein Vorschlag schien die Frau jedoch nicht zu beruhigen. »Meine Familie …«, stammelte sie. »Ich glaube, ich habe keine Familie.« Sie löste sich von seinem Arm und bewegte sich ein paar Schritte von ihm weg. »Ich weiß überhaupt nicht, ob es jemanden gibt, der sich Sorgen um mich macht. Ich weiß es einfach nicht.«
Magnus hörte die Verzweiflung in ihrer Stimme. Er trat neben sie und nahm sie entschlossen beim Arm. »Ich bringe Sie jetzt erst einmal zu Dr. Carlsson.«
Sie ließ sich widerstandslos zum Boot führen. Magnus seufzte erleichtert auf, als er vom Ufer ablegte und das Boot Richtung Sandbergen lenkte.
Sie hatte sich ohne Widerstand auf den Sitz neben ihm platzieren lassen. In ihrem Kopf hämmerte unablässig ein dumpfer Schmerz, und sie fror. Nur mit Mühe gelang es ihr, die Augen offen zu halten. Gleichwohl rasten die Gedanken in ihrem Kopf, obwohl sie sich unendlich müde und erschöpft fühlte. Sie war dem Mann dankbar für seine Hilfe, gleichzeitig hatten seine Bemerkungen sie vor einen Berg von Fragen gestellt. Er hatte gesagt, sie solle ihre Familie anrufen, und sie mühte sich, sich Personen ins Gedächtnis zu rufen, spürte aber mit zunehmender Verzweiflung, dass Namen, Gesichter, Orte hinter einer tiefschwarzen Wand verborgen blieben. Sie unterdrückte die aufkommende Angst und schloss die Augen. Ruhig, mahnte sie sich, das kommt alles wieder in Ordnung, du bist verletzt, aber du kannst noch klar denken und dich bewegen.
Der Gedanke allerdings brachte nur die nächste Frage mit sich. Was war überhaupt passiert? Sie horchte in sich hinein, fand aber nicht den Hauch einer Antwort. Der freundliche Mann hatte sie auf einem Felsen gefunden, sie war offensichtlich ohnmächtig gewesen – wie lange? – und hatte eine Kopfverletzung, zumindest blutete sie am Hinterkopf und hatte Schwierigkeiten, sich zu erinnern. Aber wie war sie dorthin gekommen? Ihre Kleidung war nass, war sie ins Wasser gefallen? Und wo war sie hergekommen? Sie horchte mit wachsender Panik in sich hinein, versuchte, sich an Bilder, Gegenden, Menschen, Gerüche zu erinnern, konnte aber nichts heraufbeschwören. Die Erkenntnis, dass sie keine Ahnung hatte, wer sie war, traf sie mit voller Wucht. Es war, als wäre sie erst an diesem Strand zum Leben erwacht. Sie konnte sich an nichts erinnern, was vor diesem Erwachen ihr Leben ausgemacht hatte.
Wenn ich wenigstens meinen Namen wüsste, schoss es ihr durch den Kopf.
Erschöpft saß sie auf ihrem Sitz und versuchte, Ordnung in ihre verwirrten Gedanken zu bekommen. Nur am Rande bekam sie mit, dass der Mann das Boot vom Meer aus in eine breite Flussmündung steuerte. Der Fluss verengte sich nach ein paar Kilometern und zog sich wie ein Kanal durch eine hübsche Häuserreihe. Wege führten am Kai entlang, dahinter lagen weiße und rote Holzhäuser. Fußgänger passierten die Wege am Fluss, ein anderes Motorboot kam ihnen entgegen.
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