Wind über den Schären: Liebesgeschichten aus Schweden (German Edition)
anderen, das Backblech auf dem Rollwagen neben ihm füllte sich rasch.
Lucia sah ihm eine Weile zu und spürte verwundert, dass es sie in den Fingern juckte. »Darf ich auch mal?«, fragte sie.
Magnus schaute sie belustigt an und drückte ihr einen Schaber in die Hand. »Nur zu«, sagte er lächelnd.
Lucia wusch sich ebenfalls die Hände, bevor sie mit dem Schaber einen Klumpen Teig aus der Schüssel holte. Sie trug ihn in der linken Hand zum Arbeitstisch und griff, bevor sie den Klumpen auf die Platte fallen ließ, mit der rechten in den Mehlwagen und bestäubte einen freien Teil der Arbeitsplatte. Es war, als hätte sie nie etwas anderes gemacht. Sie spürte den Teig unter ihren Händen, das warme, weiche und geschmeidige Material kam ihr vertraut vor, es erfüllte sie sogar mit Freude. Sorgfältig knetete sie den Teig durch, bevor sie ihn mit schnellen kurzen Bewegungen in gleich große Stücke teilte und daraus Brötchen formte. Die Handgriffe liefen wie von selbst ab – sie wusste einfach, was sie zu tun hatte.
Sie arbeitete konzentriert und genoss das Gefühl des Teiges zwischen ihren Fingern. Das Gefühl der Vertrautheit, der Geruch, die Handgriffe – es war offensichtlich, dass sie das hier nicht zum ersten Mal tat. Also war es ein Teil ihres früheren Lebens gewesen, aber wie? War sie Bäckerin? Besaß sie gar selbst eine Backstube? Oder backte sie nur gerne in ihrer Freizeit?
Nachdenklich rollte sie den Teig in ihren Händen. Sie fühlte sich wohl, bei dem, was sie tat, und insbesondere dort, wo sie jetzt war. Das hier, das spürte sie, war etwas, was zu ihr gehörte. Es war ein Teil von ihr, und es war nichts Bedrückendes. Es machte sie glücklich.
Nun hatte sie zum ersten Mal einen Hinweis auf ihre Vergangenheit gefunden und wusste nicht, wie sie damit umgehen sollte. Sie wusste, dass sie die Suche nach ihrer Herkunft nicht ewig verdrängen konnte, auch wenn sich ihre innere Abwehr bei dem bloßen Gedanken daran verstärkte. Was war da nur in ihr, das sich so sehr gegen ihre Erinnerungen sperrte? Wäre es denn nicht normal, mit allen Mitteln herauszufinden, wer sie war und wie ihr wirkliches Leben aussah?
Sie legte das Brötchen zu den anderen auf das Blech und bemerkte erstaunt, dass ihr Teigklumpen aufgebraucht war. Als sie aufblickte, sah sie, dass Göran, Frida und selbst Magnus aufgehört hatten zu arbeiten und ihr zuschauten. Lucia blickte in ihre erstaunten Mienen und lächelte. »Ist das mit dem Backen eigentlich wie mit dem Radfahren?«, fragte sie.
Auch Magnus lächelte jetzt. »Sieht ganz so aus.«
Mittagspause. Ulla schloss den Laden ab. Sie ärgerte sich immer noch über diese Lucia. Was fiel dieser Fremden, die selbst nicht wusste, wer sie war, eigentlich ein, sich in Dinge einzumischen, die sie nichts angingen!
Lucias Worte hatten etwas in Ulla ausgelöst, was sie lange verdrängt hatte. Eigentlich hatte sie zur Post fahren wollen, schlug aber unwillkürlich einen anderen Weg ein. Als sie erkannte, wohin sie unterwegs war, stieg erneut Ärger in ihr auf. Natürlich über diese Lucia, es war schließlich deren Schuld, dass sie im Moment so konfus war.
Max Wernberg , Anwalt stand auf einem Schild neben dem Eingang. Ulla spürte, wie sich Traurigkeit in ihr ausbreitete. Dies hier war einmal ihr Zuhause gewesen, hier war sie zusammen mit ihrem Bruder aufgewachsen. Sie schluckte. So lange hatte sie es vermieden, hier vorbeizufahren, gerade weil es so wehtat. Sie wollte das nicht. Sie wollte nie wieder diesen Schmerz fühlen, das hatte sie sich damals geschworen. Und jetzt stand sie hier, und es war doch passiert, nur weil diese Fremde daherkam und einfach in der Wunde rührte, die längst verschlossen schien.
Sie war es nicht, das wurde Ulla in diesem Moment klar. Verdammte Lucia, fluchte sie innerlich.
Plötzlich vernahm sie hinter sich zwei Männerstimmen. Sie wandte sich um. Sie hatte den Wagen nicht kommen hören, aus dem die beiden Männer jetzt ausstiegen.
»Das war das letzte Mal, dass ich Sie herausgeholt habe«, hörte sie jemanden zu dem Mann sagen, der auf der Beifahrerseite ausstieg. »Irgendwann ist auch meine Geduld zu Ende.«
Ulla kannte den zornigen Klang dieser Stimme nur zu gut. Sie sah ihren Vater aus dem Auto steigen und griff sofort nach ihrem Rad. Sie musste weg hier, und zwar schnell. Doch in diesem Moment hob Max Wernberg den Blick, und Ulla sah die Überraschung in seinen Augen. Sie spürte Panik aufsteigen, als er auf sie zuschritt. »Ulla«, sagte er
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