Wind über den Schären: Liebesgeschichten aus Schweden (German Edition)
langsam. »Willst du zu mir?«
Ulla wich seinem Blick aus, ihr Fluchtimpuls verstärkte sich. »Warum sollte ich?«, entgegnete sie brüsk, bevor sie sich mit zitternden Beinen auf ihr Fahrrad schwang und in die Pedale trat. Als sie an ihm vorbeifuhr, hörte sie den Mandanten ihres Vaters sagen: »Niedlich, die Kleine. Ihre Freundin?«
»Meine Tochter«, antwortete ihr Vater mit tonloser Stimme. Seine Blicke brannten in ihrem Rücken.
Der Mandant lachte hämisch. »Viel scheint sie für Ihren Vater nicht übrig zu haben.«
Genau so ist es, dachte Ulla und spürte gleichzeitig, wie ihr die Tränen in die Augen stiegen. Ärgerlich schüttelte sie den Kopf. Die Zeit, in der sie wegen ihrem Vater geweint hatte, war längst vorbei.
Lucia hatte den ganzen Vormittag in der Backstube mitgearbeitet. Magnus hatte ihr nichts erklären müssen, er hatte ihr lediglich gesagt, was gebacken werden musste, und sie hatte einfach gewusst, was zu tun war. Mittags aßen sie am Hafen. Magnus sprach sie auf ihre Arbeit am Vormittag an. Zweifellos hatte sie früher schon einmal in einer Backstube gearbeitet. Lucia zuckte mit den Schultern und schüttelte den Kopf. Sie hatte keine Ahnung.
Nach dem Essen nahm Magnus Lucia mit zum Müller.
Die Mühle lag außerhalb von Sandbergen direkt am Fluss. Das Wasser rauschte, während es mit seiner Kraft das Mühlrad in Bewegung hielt. Am Ufer saß ein Angler, ein weißer Schwan zog vorbei.
Der Müller war in Magnus’ Alter. Seine Blicke streiften Lucia immer wieder. Magnus hatte sie nur mit ihrem Namen vorgestellt, ohne weitere Erklärungen zu geben, und sie erkannte an der Miene des Mannes, dass er gerne mehr gewusst hätte. Magnus aber beließ es dabei.
Die Männer verhandelten über die nächsten Lieferungen.
»Anfang nächster Woche bekommst du Roggen, Weizen, Hafer und drei Säcke Dinkel«, sagte der Müller abschließend.
»Woher beziehen Sie den Dinkel?«, hörte Lucia sich plötzlich fragen. Erstaunt bemerkte sie, dass die Antwort auf die Frage sie wirklich interessierte.
»Fünfzig Prozent kommen aus Deutschland, der Rest aus Belgien«, erklärte der Müller ohne Umschweife.
»Dinkelbrot ist bei uns noch neu«, fügte Magnus erklärend hinzu. »Ich mische das Mehl meistens mit Weizen.«
Lucia blieb stehen. »Dann lässt es sich besser kneten«, sagte sie und fragte sich, woher sie das wusste.
Auch Magnus und der Müller waren stehen geblieben. Sie sah die Überraschung in ihren Augen.
»Du hast mir gar nicht gesagt, dass du eine neue Bäckerin eingestellt hast«, sagte der Müller.
»Hat er auch nicht«, sagte Lucia. Sie warf Magnus einen kurzen Blick zu und bemerkte, dass er lächelte. »Ich bin nur zu Besuch hier«, fügte sie schließlich hinzu.
Der Müller schaute sie neugierig an. »Sie kennen sich aber offensichtlich aus«, hakte er nach.
»Ja, das tue ich wohl«, sagte Lucia nachdenklich.
Lucia und Magnus hingen während der Rückfahrt schweigend ihren Gedanken nach. Ob er das Gleiche dachte wie sie?
Lucia war sich inzwischen sicher, dass sie in ihrem früheren Leben etwas mit dem Backhandwerk zu tun gehabt hatte. Vielleicht war ihr Vater Bäcker. Oder sie war mit einem Bäcker verheiratet.
Bei diesem Gedanken stockte ihr der Atem. Die Vorstellung, dass es irgendwo einen Menschen gab, der zu ihr gehörte, der sie womöglich vermisste, der sie liebte und sich nach ihr sehnte, verursachte ein unangenehmes Ziehen in ihrem Kopf. Verstohlen betrachtete sie ihre Hände. Sie trug keinen Ring, das hatte sie sofort überprüft, aber da war auch keine helle Stelle an ihrem Ringfinger, die darauf hinwies, dass sie bis vor Kurzem einen Ring getragen hatte.
Lucia atmete tief aus. Vermutlich also doch kein Ehemann. Zumindest hoffte sie das von ganzem Herzen. Aber war es überhaupt möglich, einen Menschen zu vergessen, den man liebte? Und wieso suchte eigentlich niemand nach ihr?
Schlagartig wurde ihr klar, dass sie das gar nicht wusste. Bisher hatte sie selbst noch keinen Kontakt mit der Polizei aufgenommen. Vielleicht lag dort längst eine Suchmeldung nach ihr vor.
Magnus setzte sie zu Hause ab und entschuldigte sich dafür, dass er sie alleine lassen musste. Er hatte wichtige Termine im Rathaus. Seine Mutter traf sich an diesem Nachmittag mit zwei Freundinnen, und Lucia würde die nächsten Stunden alleine sein.
»Das macht nichts«, behauptete sie tapfer, obwohl sie ausgerechnet jetzt lieber jemanden bei sich gehabt hätte.
Magnus schien das zu spüren. Er versprach
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