Wind über den Schären: Liebesgeschichten aus Schweden (German Edition)
hast, die irgendwo auf dich wartet? Vielleicht erinnerst du dich auf einmal wieder an dein Leben und verschwindest genauso plötzlich, wie du aufgetaucht bist«, fuhr er leise fort. In seiner Stimme lag die Angst, dass es genau so war, wie er es gerade ausmalte.
Wie gerne hätte sie ihm die Angst jetzt genommen, spürte aber insgeheim, dass er recht haben könnte. Wie konnte sie ihn beruhigen, wenn sie doch selbst nicht wusste, was war? Alles, was sie wollte, war das Hier und Jetzt zu genießen, und sie wünschte sich von ganzem Herzen, dass es nie endete.
»Magnus, bitte«, sagte sie sanft, »es war so ein schöner Tag. Hör doch auf, von morgen oder übermorgen zu sprechen.«
Er hob den Blick und sah ihr in die Augen. Sie schauten sich an, ihre Gesichter näherten sich einander, aber plötzlich war es Lucia, die den Kopf abwandte. Sie spürte, wie seine Unruhe, seine Zweifel sich auf sie übertrugen. Sie senkte den Kopf und lehnte ihn an seine Schulter. Es tat gut, ihn zu spüren, aber die Vorstellung, dass sie einander verlieren könnten, schnürte ihr die Kehle zu. Es war vielleicht besser, sich gar nicht erst darauf einzulassen.
Lange saßen sie so zusammen. Als Lucia fröstelte, legte Magnus einen Arm um ihre Schultern. »Lass uns ins Haus gehen«, schlug er vor.
Lucia nickte, obwohl sie am liebsten die ganze Nacht hier mit ihm verbracht hätte. Das Rauschen der Wellen, seine Nähe und das Gefühl, dass sie die einzigen Menschen auf der Welt waren, schloss die unruhigen Gedanken an die Zukunft aus. Sie wusste, dass sich das ändern würde, sobald sie aufstand.
Im Haus ging Magnus mit ihr bis zur Treppe, machte aber keine Anstalten, sie hinaufzubegleiten. Lucia stieg die ersten beiden Stufen sehr langsam hoch. Sie spürte das Verlangen nach ihm, wollte sich noch nicht von ihm trennen, sehnte sich nach seiner Umarmung, seinen Küssen.
Als sie sich umwandte, fand sie in Magnus’ Gesicht dieselbe Sehnsucht. Sekundenlang glaubte sie, er würde ihr folgen, doch dann schien er sich entschieden zu haben.
»Gute Nacht«, sagte er und wandte sich ab.
»Gute Nacht«, sagte Lucia. Sie konnte ihn verstehen und war gleichzeitig enttäuscht, dass er sich nicht einmal mehr umwandte, als er in sein Arbeitszimmer ging.
Mit schwerem Herzen stieg Lucia die Treppe empor.
Als Greta nach Hause kam, stand die Terrassentür weit offen. Vom Wasser her hörte sie fröhliche Stimmen und lautes Lachen, dann blieb es lange still.
Sie widerstand der Versuchung, nach draußen zu gehen und nachzusehen. Magnus war erwachsen. Er wusste, was er tat. Sie schloss die Terrassentür und machte es sich auf dem Sofa mit einem Buch gemütlich.
Als sie schließlich zum Regal ging, um ein neues Buch herauszuholen, sah sie Magnus und Lucia durchs Fenster. Die beiden schlenderten in Richtung Haus, und Greta registrierte sofort, dass sie vertraut miteinander wirkten.
Nachdenklich setzte sie sich aufs Sofa. Sie hatte ihren Sohn schon lange nicht mehr so gesehen. Er wirkte entspannt und gelöst, und Greta kannte ihn gut genug, um zu wissen, dass er sich in die schöne Unbekannte verliebt hatte. Diese Erkenntnis stürzte sie in tiefe Sorge.
Greta hörte, wie die beiden das Haus durch die Vordertür betraten. Sie hörte ihre Stimmen, konnte die Worte aber nicht verstehen.
In dem Versuch, sich abzulenken, schlug sie das Buch auf, konnte sich aber nicht darauf konzentrieren. Sie hatte nicht vergessen, was Magnus vor zwei Jahren durchgemacht hatte, und sie wollte nicht, dass er noch einmal so verletzt wurde. Er war ihr Sohn, und sie machte sich Sorgen um ihn. Es sollte ihm gut gehen, er sollte nicht leiden.
Lucia lag lange wach in ihrem Bett. Obwohl sie müde war, konnte sie nicht schlafen. Schließlich stand sie auf und trat ans Fenster. Sie lehnte das Gesicht gegen die kühle Scheibe und starrte hinaus.
Der Mond stand voll am Himmel, schuf ein Spiel aus Licht und Schatten über Wasser und Landschaft. Die hohen Bäume am Ufer bewegten sich leicht im Wind.
Es war nicht gut, dass sie sich hier zu Hause fühlte, als hätte ihr Leben hier erst begonnen. Ihre Gedanken kreisten immer wieder um denselben Punkt. Irgendwann wurde ihr klar, dass sie Angst vor ihren Erinnerungen hatte, die sie unweigerlich einholen würden. Aber war es wirklich nur Angst vor dem Unbekannten, oder war da tief in ihr sogar eine instinktive Gewissheit, dass ihre Erinnerung zwangsläufig auch das Ende ihrer Zeit bei und vor allem mit Magnus bedeutete?
Der Mond stand noch am
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