Wind über den Schären: Liebesgeschichten aus Schweden (German Edition)
in das Taxi stieg.
Weit kamen sie nicht. Als das Taxi am Ende der Straße auf die Brücke einbog, die über den Fluss führte, sah Selma auf einer Bank am Wasser Max Wernberg sitzen. Leicht vornübergebeugt, die Hände im Schoß, saß er reglos da und starrte auf das Wasser.
»Halten Sie bitte kurz an«, bat Selma den Fahrer noch einmal. Er kam ihrem Wunsch sofort nach. Als Selma die Hand an den Türgriff legte, drehte er sich kurz um: »Sind Sie sicher, dass Sie wirklich nach Stockholm wollen?«, fragte er schelmisch.
Selma hielt inne. Nein, natürlich wollte sie nicht nach Stockholm, aber in diesem Moment spürte sie, dass sie keine andere Wahl hatte. Zum ersten Mal hatte sie das Gefühl, dass sie nicht nur deshalb zurück nach Stockholm ging, weil das hier offenbar alle von ihr erwarteten. Nein, es war wichtig, auch für sie selbst. Sie musste nach Stockholm. Was dann kam, würde sie sehen. Hier und jetzt, das war ihre Motivation gewesen in Sandbergen. Warum sollte das nicht auch für Stockholm gelten?
»Gute Frage«, sagte sie lächelnd und stieg aus. Max Wernberg saß noch immer in der gleichen Haltung auf der Bank, als sie ihn erreichte. Er hatte sie nicht bemerkt, war völlig in Gedanken versunken. Erst als sie sich neben ihn setzte, sah er auf.
Eine Weile sagte keiner von ihnen ein Wort. »Ihren Sohn haben Sie schon verloren«, sagte Selma schließlich direkt, »aber Sie haben noch eine Tochter. Ulla ist verzweifelt und hat sich gleichzeitig völlig in ihre Wut verstrickt. Sie müssen ihr da raushelfen.«
Max wandte ihr den Blick zu. In seinen Augen lag tiefe Hilflosigkeit. »Sie will nicht mit mir reden«, sagte er lahm.
»Wollen Sie es denn?«, fragte Selma, obwohl sie daran eigentlich keine Zweifel hegte.
»Ich will nur, dass sie glücklich wird«, antwortete Max leise und starrte wieder vor sich hin.
»Dann gehen Sie zu ihr«, sagte Selma eindringlich. »Lassen Sie sich nicht abweisen, Ulla braucht Sie.«
Max Wernberg hob erneut den Blick. Zum ersten Mal meinte Selma hinter der tiefen Traurigkeit so etwas wie Leben wahrzunehmen. »Woher wissen Sie das?«
»Ich weiß es von Ulla«, sagte Selma überzeugt. »Sie ist ziemlich wütend, auch auf mich, weil ich das Thema angesprochen habe. Aber hinter dieser Wut stecken ganz tiefe Verletzungen, und Sie sind der einzige Mensch, der ihr helfen kann.«
Max lächelte plötzlich. »Sie sind eine ungewöhnliche Frau«, sagte er weich. »Was haben Sie selbst denn jetzt vor?« Er klang ehrlich interessiert.
Selma strich liebevoll über seinen Arm. »Dasselbe wie Sie. Ich werde jetzt versuchen, mein Leben zu klären.« Sie stand auf, nickte ihm noch einmal zu und ging zurück zum Taxi.
»Auf nach Stockholm«, sagte sie entschlossen.
Das Taxi fuhr durch eine von Birken gesäumte Allee auf die Villa der Alanders zu. Sie lag ein paar Kilometer vor Stockholm in einem traumhaften Park. Ein hoher Zaun, unterbrochen von Mauerpfeilern, umgab das Areal. Selma sah, dass das schmiedeeiserne Tor weit geöffnet war, sodass sie direkt auf den kiesbedeckten Platz vor dem Haus fahren konnten.
Die ganze Fahrt über hatte sie darüber nachgedacht, wie es sein würde, nach Hause zu kommen. In ein Haus, das ihr fremd war. Zu einem Mann, der ihr Vater war, an dessen Gesicht sie sich aber nicht erinnerte.
Ihre Befürchtungen waren völlig unbegründet. In dem Moment, als der Taxifahrer durch das Tor fuhr, war alles wieder da. Genau so, wie Dr. Carlsson es vorausgesagt hatte. Die bekannte Umgebung setzte ihre Erinnerungen frei. Selma hörte sich selbst als kleines Mädchen nach ihrem Vater rufen.
»Fang mich, Papa, fang mich doch!«
Das tiefe Lachen des Vaters antwortete ihr, sie hatte auch sein Gesicht wieder vor Augen. »Du entkommst mir nicht!«, hörte sie Evert Alander rufen.
Selma atmete tief ein und aus. Sie war zu Hause angekommen, sie war bei sich selbst angekommen, und trotz aller Angst, die sie vor diesem Moment empfunden hatte, war sie jetzt dankbar. Ihre Vergangenheit war wichtig für ihre Zukunft, sie konnte und würde weder vor dem einen noch vor dem anderen davonlaufen.
Sie bat den Fahrer zu warten und stieg aus dem Taxi. Aufmerksam sah sie sich um, ließ die Umgebung auf sich wirken.
Die weiße Villa sah aus wie ein kleines Schloss, umgeben von kleineren Gebäuden. Ein Angestellter, der ein Pferd über den Platz führte, grüßte freundlich.
Selma wusste auf einmal wieder, dass ihr Vater am Wochenende gerne ausritt. Überall blühten Blumen, das
Weitere Kostenlose Bücher