Wind über den Schären: Liebesgeschichten aus Schweden (German Edition)
Gezwitscher der Vögel konkurrierte mit dem sanften Rauschen der Blätter der Bäume im Wind. Lucia sog tief die Luft ein und stieg entschlossen die Stufen zur Eingangstür hinauf.
Im gleichen Moment wurde die Haustür von innen aufgerissen. Vor ihr stand Linda, die ältere Frau, die den Haushalt geführt hatte, seit Selma denken konnte. Selma freute sich wirklich, sie zu sehen.
»Hej, Linda, ich bin wieder da.«
Die ältere Dame umarmte sie herzlich. »Wie schön! Dein Vater wird sich sehr freuen, dich wiederzusehen. Er ist im Wintergarten.«
Selma bat Linda, dafür zu sorgen, dass der Taxifahrer bezahlt wurde, und ging langsam durchs Haus. Hier war sie aufgewachsen. Sie spürte, wie die Vertrautheit mit jeder Sekunde wuchs, gleichzeitig war in ihr aber auch etwas anderes. Sie hielt inne und versuchte, das Gefühl zu erfassen, und verspürte schließlich Erleichterung, als ihr klar wurde, was sie empfand. Das hier war der Ort ihrer behüteten Kindheit und Jugend, aber es war nicht der Ort, an den sie jetzt gehörte.
Nachdenklich öffnete sie die Tür zum Wintergarten. Ihr Vater saß auf dem weißen Sofa. Als er sie sah, erhob er sich und lächelte liebevoll.
»Selma«, sagte er sichtlich gerührt. »Was machst du nur für verrückte Sachen?«
»Papa!« Sie strahlte ihn an, spürte all die Liebe, die sie für ihren Vater empfand. Unfassbar, dass sie sich daran eine Zeit lang nicht mehr hatte erinnern können.
»Es ist schön, wieder hier zu sein. Als ich vor dem Haus stand, konnte ich mich plötzlich wieder erinnern«, sprudelte es aus ihr hervor.
Er griff nach ihrer Hand. »Komm, setz dich.«
Selma setzte sich auf einen der weißen Sessel, ihr Vater nahm ihr gegenüber Platz und hielt ihre Hand fest in seiner. Prüfend blickte er ihr ins Gesicht.
»Ich habe mir die größten Sorgen gemacht, als Bernd mir alles erzählte«, sagte er ernst. »Es klingt in diesem Zusammenhang vielleicht eigenartig, aber du siehst hervorragend aus. Gerade so, als hätte dir der Ausflug diesmal besonders gut getan«, fügte er liebevoll hinzu.
Selma betrachtete ihn dankbar. Ja, das hatte er. Er hatte ihr eine Seite an ihr gezeigt, die sie bisher nicht gekannt, nicht gelebt hatte. Es war eine Seite, die zu ihr gehörte, die nach außen drängte. Inwieweit sie in ihr altes Leben passte, würde sich zeigen. Sie brauchte Zeit, um alles einzuordnen.
»Ich habe gehört, dass sie dich Lucia getauft haben«, fuhr ihr Vater fort. Er schmunzelte. »Das ist schon erstaunlich. Lucia war der Name deiner Mutter, und es ist irgendwie, als hätten sie geahnt, wer du wirklich bist.«
Selma spürte, wie sich in ihr eine große Ruhe ausbreitete: Lucia war nicht nur ein erfundener Name, Lucia war tatsächlich ein Teil von ihr!
Evert Alander streichelte ihre Hand und stand schließlich auf. »Bernd hat eine schlimme Zeit hinter sich. Er hat dich sehr vermisst. Lass uns in die Firma fahren, er wird sich sicher freuen, dich zu sehen.«
Selma stand auf. »Ich habe also wirklich vor, ihn zu heiraten?«, fragte sie langsam. Die Zweifel in ihrer Stimme waren nicht zu überhören.
Evert Alander fuhr herum. Er wirkte erschrocken. »Jetzt sag nicht, dass du dich daran nicht erinnerst?«
»Doch, doch«, versicherte Selma schnell und folgte ihrem Vater, der mit entschlossenen Schritten zur Tür ging.
Ich erinnere mich an die geplante Hochzeit, dachte sie, aber leider weiß ich nicht mehr, warum ich Bernd überhaupt heiraten will. Es gelang ihr nur mit Mühe, den Anflug von Angst zu unterdrücken.
Auf der Fahrt zu den Alander-Werken berichtete sie ihrem Vater auf seine Nachfrage, wie es ihr in Sandbergen ergangen war. Er amüsierte sich köstlich darüber, dass sie, die zukünftige Firmenchefin, in der Backstube der örtlichen Bäckerei gearbeitet hatte. Selma fühlte sich unwohl, wollte die Stimmung so kurz nach ihrer Rückkehr aber nicht verderben und schluckte ihren Ärger über seine in ihren Augen überhebliche Reaktion hinunter.
Evert Alander parkte direkt vor dem Eingang. Selma stieg aus und schaute sich aufmerksam um. Das Firmengebäude aus roten Backsteinen beeindruckte sie. Die Luft war angefüllt vom Duft nach frisch gebackenem Brot. Erstaunt bemerkte Selma, dass es ein anderer Geruch als der in Magnus’ Backstube war. Sie hatte das Gefühl, als fehle etwas, ohne dass sie hätte sagen können, was genau das war.
Ihr Blick fiel auf das Schild mit dem Firmennamen an der Eingangstür. Es wirkte im Gegensatz zum Gebäude vergleichsweise
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