Windbruch
ostfriesisch
breiten Singsang zurückfiel. Ziemlich stolz war er darauf, dass er sich, wie
ihm häufiger bestätigt wurde, noch keinerlei amerikanischen Akzent zugelegt
hatte. Normalerweise sprach er reinstes Hochdeutsch. Das hatte er sich nach
seinem Wegzug aus Ostfriesland strikt antrainiert. In München war es ihm
peinlich gewesen, gleich als Norddeutscher erkannt zu werden. In diesem Moment
aber merkte er, dass er doch ein wenig stolz war, den Dialekt seiner Kindheit
noch nicht ganz verdrängt zu haben. „Jetzt sag du erst mal, was los ist. Was
sagen die Ärzte?“
Über Haukes Gesicht legte sich
ein Schatten. „Sie tappen noch im Dunkeln, sagen sie. Irgendwelche inneren
Blutungen. Aber sie haben noch keine Ahnung, woher sie kommen.“ Im selben
Moment krümmte er sich plötzlich zusammen. Hauke versuchte mit schmerzverzerrtem
Gesicht, sich wieder aufzurichten, aber die Krämpfe zwangen ihn, in gebeugter
Haltung zu verharren.
„Tjark sagt, das geht schon seit
Tagen so. Warum hast du es denn nicht gleich untersuchen lassen?“
„Dachte, das geht von selber
wieder wech. Is nur Stress, hab ich gedacht“, stöhnte Hauke. Er schien starke
Schmerzen zu haben. Doch genauso schnell, wie die Krämpfe gekommen waren,
hörten sie auch wieder auf. Mit einem erschöpften Seufzer ließ sich Hauke in
die Kissen zurückfallen.
„Stress bei der Arbeit, oder
was?“, hakte Maarten nach.
Hauke hob kurz die Hand, ließ sie
aber sofort wieder sinken, so, als sei sie ihm zu schwer geworden. „Weißt ja,
wie das ist. Immer länger arbeiten, immer weniger Zeit für die Familie. Seit
ich den neuen Job hab, wird es immer schlimmer. Ich hätte nicht wechseln
sollen. Aber das konnte ja keiner ahnen, so wie die einen damals umworben
haben.“
Maarten fiel auf, dass er gar
keine Ahnung hatte, was Hauke beruflich machte. Das war ihm peinlich, und er
traute sich kaum, ihn danach zu fragen. Schließlich waren sie doch mal die
besten Freunde gewesen. Und nun wusste er nicht mal mehr die einfachsten Dinge von
ihm. Er gab sich einen Stoß. „Was ist das denn für ein neuer Job? Ich meine,
ich hab ja gar keine Ahnung, was du überhaupt so machst, beruflich.“
„Ich bin Ingenieur, genau wie du.
Verfahrenstechnik, wenn man’s genau nimmt. Hab früher bei VW hier in Emden gearbeitet.“
Hauke zögerte kurz. „Ja“, sagte er dann und nickte, „da hätte ich auch bleiben
sollen. Wusstest du, dass die Belegschaft da inzwischen sogar eine eigene
Energiegenossenschaft hat? Photovoltaik. Is ne prima Sache.“
„Und für wen arbeitest du jetzt?“
„Ist so `n internationaler
Konzern. Hat seit drei Jahren hier in Emden `ne Betriebsstätte. Baut Windkraftanlagen.
Große. Für Offshore.“
„Das klingt doch gar nicht
schlecht. Und was genau machst du da?“
„Beschichtungen für Rotorblätter.
Forschung und Entwicklung.“
„Dann hast du auch mit
Aerodynamik zu tun, genau wie ich bei meinen Flugzeugen“, rief Maarten. „Da
sind wir ja gar nicht soweit voneinander weg.“
Statt zu antworten, bekam Hauke
plötzlich einen heftigen Hustenanfall. Mit schmerzverzerrtem Gesicht deutete er
auf ein Glas Wasser, und Maarten hielt es ihm sofort an den Mund. Aber kaum,
dass Hauke einen Schluck genommen hatte, schien der Husten noch heftiger zu
werden. Und plötzlich spuckte er Blut. Blut! Erschrocken hielt sich Maarten die
Hand vor den Mund, drückte dann sofort den roten Alarmknopf. Hauke konnte sich
noch immer nicht beruhigen. In seiner Panik lief Maarten auf den Gang und rief
laut nach einer Schwester. „Mein Freund spuckt Blut! Er spuckt Blut! Nun machen
Sie doch was, schnell!“, rief er aufgebracht, als eine junge Frau in weißem
Kittel ihren Kopf aus einem der Krankenzimmer schob. Sie stürzte sofort herbei
und bediente im Laufen einen Piepser. Im nächsten Moment kam auch schon ein
Arzt um die Ecke.
Als sie zu dritt wieder ins Zimmer
kamen, hatte der Hustenanfall nachgelassen. Haukes Brustkorb hob und senkte
sich in leichten Zuckungen, er lag wie ermattet in seinen Kissen, aus seinem
Mund lief Sabber. Auf der Bettdecke hatte sich eine blutig-schleimige Masse
verteilt. Hauke sah Maarten an, als er in Begleitung von Arzt und Schwester
zurückkam, und in seinen Augen sah Maarten Angst. Nackte Angst.
Der Arzt gab irgendwelche
Anweisungen, woraufhin die Schwester eine Spritze aufzog. „Verlassen Sie bitte
den Raum“, sagte der Arzt, während er sein Stethoskop an Haukes Brust hielt.
Maarten nickte stumm und tat, wie ihm geheißen.
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