Windbruch
mal ganz ehrlich. Wer soll Hauke
wohl vergiften?“
Maarten sah Harry prüfend an.
„Hat er denn mal einen Verdacht geäußert, wer ihn vergiften will?“
„Er meint, das sind die Kollegen
bei der Arbeit.“
„Und wieso sollten die ihn
vergiften?“
„Er hat sich da was
zusammengereimt. Irgendwas mit `ner Windmühle, die nich richtig funktioniert,
oder so.“
„Das klingt ziemlich wirr.“
„Sach ich doch.“
Für eine Weile saßen sie
schweigend nebeneinander und guckten aufs Meer hinaus, das jetzt wieder auf dem
Rückzug war. Gift. Und wenn es stimmte? Maarten war zwar kein Mediziner, aber
er konnte sich gut vorstellen, dass Gift solche Krämpfe und Blutungen auslösen
konnte, wie sie bei Hauke auftraten. Aber bestimmt würde das im Krankenhaus ja
untersucht. Wenn es so war, dann würden die Ärzte es herausbekommen. Er nahm
sich vor, gleich am nächsten Tag noch mal ins Krankenhaus zu fahren und Hauke
dahingehend zu befragen.
„Nee, wenn du mich frachst, is
Hauke einfach nur krank. Vom Stress, oder so. Gefällt ihm ja nich so gut, sein
neuer Job“, setzte Harry unvermittelt das Gespräch fort, als hätte er Maartens
Gedanken gelesen.
„Ja, vermutlich hast du recht“,
erwiderte Maarten. Aber dennoch spürte er bei diesen Worten Zweifel in sich
aufsteigen.
„Ich muss dann mal wieder“, sagte
Harry und stand auf, die rechte Hand in den Rücken gestützt. „Mach’s gut,
Maarten. Wir sehen uns auf’er Hochzeit.“
„Ja, bis dann, Harry. Hat mich
gefreut, dich zu treffen.“
„Jo.“
10
Als Maarten später wieder im Haus
seiner Eltern war, machte seine Mutter gerade Tee. Er half ihr, den Tisch
einzudecken, und irgendwie machte es ihn glücklich, dass seine Eltern nach wie
vor das Teeservice mit dem original ostfriesischen Rosenmuster benutzten. Seine
Mutter hatte es mal zu Weihnachten von seiner Großmutter bekommen, als Maarten
noch ganz klein gewesen war. Er nahm eine der kleinen Tassen in die Hand und
betrachtete sie für eine Weile. Früher hatte er sich um solche Sachen, wie das
traditionelle ostfriesische Teetrinken, keine Gedanken gemacht. Es hatte
einfach immer dazugehört. Aber seitdem er nicht mehr in Ostfriesland lebte und
seinen Tee, der woanders nicht halb so gut schmeckte wie zuhause, in der Regel
aus großen Kaffeebechern so nebenbei trank, dachte er oft über die gemütlichen
Teestunden nach, die es tagtäglich in seinem Elternhaus gab. Diese Teestunden
dienten in erster Linie dazu, mal Pause zu machen, zur Ruhe zu kommen und
wieder Kraft zu tanken. Und wo gab es so was schon noch? Maarten jedenfalls
hatte keine Ahnung, wie er solch eine regelmäßige Teestunde oder ähnliches in
seinen New Yorker Alltag hätte einbinden sollen. Mit einem wehmütigen Lächeln
betrachtete er den kleinen, silbernen Sahnelöffel, den seine Mutter gerade in
das kleine Kännchen mit Teesahne tauchte. Er sah aus wie eine winzig kleine
Suppenkelle, in den Griff war ebenfalls das Rosenmuster eingraviert. Genauso
wie in die Kandiszange, die gerade ihren Platz in der Schüssel mit den weißen
Zuckerklumpen, die man in Ostfriesland Kluntjes nannte, einnahm. Unwillkürlich
drückte Maarten seiner Mutter einen Kuss auf ihre von Falten durchzogene Wange.
„Nanu, was’n los, mien Jung?“,
fragte sie und sah ihn erstaunt, zugleich aber auch gerührt an und hielt ihre
Hand auf die Stelle, auf der der flüchtige Kuss ihres Sohnes gelandet war.
Maarten zuckte mit den Schultern
und lächelte. „Och, Mudder, nur’n Anflug von Sentimentalität. Ich freu mich
einfach, mal wieder hier zu sein und eine Tasse Tee mit dir zu trinken.“
„Ich freu mich auch, dass du hier
bist, mien Jung. Focko, Tee is feddich!“, rief sie dann zum Fenster hinaus
ihrem Mann zu, der wie immer eifrig im Garten werkelte.
Wenig später saßen alle drei am
Küchentisch, und Maarten schaute nachdenklich auf das Sahnewölkchen, das in
seinem dampfenden Tee in Verbindung mit dem Kluntje bizarre Muster zeichnete.
„Und, Maarten, wie geht es Hauke?
Du warst doch vorhin bei ihm im Krankenhaus, oder?“, fragte sein Vater unvermittelt,
nachdem sich alle drei eine ganze Weile angeschwiegen und ihren Tee mit einem
Stück Butterkuchen genossen hatten. Herr Sieverts war schon seit Jahrzehnten
eng mit Bauer Langhoff, Haukes Vater, befreundet. Normalerweise erkundigte er
sich nicht allzu oft nach dem Befinden anderer Menschen. Nicht aus Ignoranz,
sondern weil er ganz einfach der Meinung war, dass ihn das Leben anderer nichts
anging. Dass
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