Windbruch
hier nicht Ihr Projekt ist. Aber trotzdem möchte ich Sie bitten,
sich die Pläne zu dieser Windkraftanlage, die wir hier gerade errichten, der Windlady
II , mal genauer anzuschauen. Ich bin sicher, es fällt Ihnen was auf.“
Maarten hatte genauer nachfragen wollen, aber Rautschek hatte eine Kopfbewegung
über die Schulter gemacht, aus der sich Hans-Jürgen Naumann und dessen
Vorstandskollege Hayo Rhein näherten. Das Herz hatte Maarten für einen kurzen
Augenblick gestockt, als Rautschek ihm im Weggehen noch mit gepresster Stimme
zugeraunt hatte: „Tun Sie es für Langhoff.“
„Was hat Rautschek Ihnen denn so
auf die Schnelle noch mit auf den Weg gegeben, Herr Dr. Sieverts? Es muss ja
was ganz Bedeutendes gewesen sein, so blass, wie Sie auf einmal sind“, hatte
ihn Naumann im Helikopter gefragt, und Hayo Rhein, den Maarten von Beginn an
für einen der unsympathischsten Menschen gehalten hatte, die ihm jemals über
den Weg gelaufen waren, hatte ihn mit einem fast dämonischen Grinsen auf dem
Gesicht forschend angeschaut. Maarten hatte nur den Kopf geschüttelt, etwas von
stürmischem Wetter und Schaukeltrauma gestammelt und einen letzten verunsicherten
Blick auf die riesige Windkraftanlage geworfen. Was war hier los?
Die Windlady II war Haukes
Projekt gewesen, bevor, nach dessen Tod, Rautschek es übernommen hatte. Anscheinend
war Rautschek an der Planung jetzt irgendwas aufgefallen, was seiner Ansicht
nach nicht stimmte. Seit Maarten wieder zurück in Emden war, hatte er Tag für
Tag darüber nachgegrübelt, wie er den Umständen von Haukes Erkrankung auf den
Grund gehen konnte. Aber so sehr er sich auch bemüht hatte, er war nicht einen
Millimeter vorangekommen. Die Ärzte im Krankenhaus hatten Hauke nach seinem Tod
obduziert, ihm auf seine Fragen nach dem Ergebnis aber keine Antwort gegeben,
da er kein naher Verwandter von Hauke war. Auch bei Sonja hatte er versucht
vorzufühlen, aber sie hatte lediglich müde gemurmelt: „Sie meinten, es sei vermutlich
Medikamentenmissbrauch, zu viel Blutverdünner. Aber so was hat Hauke doch gar
nicht eingenommen. Nun ja, was nützt es, das zu wissen, das macht meinen Mann
auch nicht wieder lebendig.“
Und jetzt plötzlich, von einem
Moment auf den anderen, gab es einen ersten kleinen Hinweis. Es ging um die
Pläne für die Windlady II , die Maarten heute voller Bewunderung in Augenschein
genommen hatte. Majestätisch ragte sie neben ihrer älteren Schwester, der Windlady
I , die ebenfalls federführend von Hauke konzipiert worden war, aus der
stürmischen Nordsee und reckte ihre zurzeit noch stillstehenden, mehr als 50
Meter langen Rotorflügel in den grauen, mit tief liegenden Wolken verhangenen
Himmel.
Maarten stieg aus der Dusche und
rubbelte sich mit einem rauen Handtuch gründlich ab. Dann hüllte er sich in
seinen warmen Bademantel, goss ich einen heißen Tee auf und suchte sich aus dem
Telefonbuch eine Nummer heraus. Kurz darauf griff er zum Telefon. „Moin Harry“,
sagte er im nächsten Moment, „bist du jetzt im Revier? Gut, dann komme ich in
einer halben Stunde mal bei dir vorbei.“
Der Sturm hatte noch zugelegt,
und auf dem Midlumer Neuen Weg, der durch einen weitgehend unbebauten Abschnitt
der flachen Landschaft zwischen Emden und Groß Midlum führt, hatte Maarten Mühe,
sein Fahrzeug auf der Straße zu halten. Er hatte sich für die Zeit seines
Aufenthaltes in der Heimat einen Kleinwagen zugelegt, der für seine Bedürfnisse
hier vor Ort allemal ausreichte, dem scharfen Nordwestwind aber kaum etwas an
Masse und Gewicht entgegenzusetzen hatte. Immer wieder musste Maarten mit dem
Steuer gegenhalten, sonst wäre er unweigerlich von der Straße abgekommen.
Harry bot ihm gleich einen heißen
Kaffee an, als er das Pewsumer Polizeirevier betrat. „Windig heute“, bemerkte
der Polizist mit Blick aus dem Fenster. Maarten schmunzelte. Jeder andere hätte
das Unwetter da draußen als ausgewachsenen Orkan bezeichnet. Aber die Ostfriesen
waren da entspannter. Maarten erinnerte sich an einen Bekannten seiner Eltern
aus Süddeutschland, der vor langen Jahren mal im Herbst in Ostfriesland zu
Besuch gewesen war. Eines Sonntagmorgens, es war noch dunkel und ähnlich
stürmisch gewesen wie heute, war er hektisch durchs Haus gerannt und hatte alle
Familienmitglieder voller Panik geweckt und geschrieen, sie sollten sich sofort
in der Küche versammeln. Erschrocken war die ganze Familie aus dem Bett
gesprungen in der Erwartung, das ganze Haus würde in Flammen
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