Windbruch
worden zu sein. Konkrete Namen nennt er
nicht, es ist eine Anzeige gegen Unbekannt. Und auf die Frage, warum man ihn
hätte vergiften sollen, sagte er – und nun wird’s interessant – dass er
herausgefunden habe, dass die Pläne zum Bau der Windlady II bewusst
manipuliert worden seien.“
„Wow, das wäre natürlich der
Hammer! Aber warum sollte das irgendjemand tun? Ich meine, die Firstlady läuft
super, ist praktisch eine Gelddruckmaschine, also alles im grünen Bereich. Die
Lady II ist baugleich. Nein, es gebe absolut keinen Grund, hier irgendwas zu
manipulieren. Hm. Und du meinst nicht, dass Hauke sich da was vorgemacht hat?
Ich meine, es war bekannt, dass er sich nicht mit Naumann verstand. Vielleicht
wollte er ihm nur eins auswischen.“
„Erstens hat er Naumann ja gar
nicht namentlich benannt. Kann sein, er hat ihn gemeint, aber die Anzeige hat
er ja, wie gesagt, gegen Unbekannt erstattet. Und zweitens hat nicht er mich
auf die Pläne aufmerksam gemacht, sondern Rautschek.“
Tomke hob kurz beide Hände und
ließ sie dann wieder auf den Tisch fallen, als wolle sie sagen, dass sie nun
auch nicht weiter wisse. Stattdessen sagte sie: „Da hilft ja nun alles nichts,
wir müssen an die Pläne ran.“
Die Kellnerin servierte die
Hauptspeise und für ein paar Minuten konzentrierten sich beide aufs Essen. Was
Tomke da ausgesprochen hatte, war ungeheuerlich. Denn die Pläne waren in der
Regel in einem abschließbaren Schrank untergebracht. Und wenn sie keiner
freiwillig herausrückte, blieb nur ein Weg: Man musste sie stehlen. Doch keiner
von beiden traute sich, es so offen auszusprechen.
„Kannst du dich noch daran
erinnern, wie wir bei uns in Canhusen einen Winter lang immer Räuber und
Gendarm gespielt haben?“, wechselte Tomke das Thema, nachdem sie ihr Seeteufelfilet
ein gutes Stück weit aufgegessen hatte.
Maarten runzelte die Stirn. Wieso
kam sie denn jetzt darauf? Es passte gar nicht zu ihr, ein einmal
angesprochenes Thema einfach so vom Tisch zu wischen. „Ja“, antwortete er zögernd,
„daran erinnere ich mich gut. Wie kommst du drauf?“
Tomke grinste schelmisch. „Du
weißt ja, dass Micha, mein verstorbener Cousin, damals gerade eine Lehre zum
Feinmechaniker machte.“
„Ja“, sagte Maarten knapp. Der
Gedanke an seinen Kumpel Micha und dessen tragisches Ende schmerzte immer noch,
er wollte eigentlich nicht über ihn sprechen.
„Nun, wie du weißt, war ich ja
damals an allem brennend interessiert, was irgendwie dazu taugte, Unsinn zu
machen.“
„Ja“, sagte Maarten wieder, doch
diesmal musste er in Erinnerung an das kleine kesse Mädchen, das Tomke damals
gewesen war, schmunzeln. Sie hatte keine Dummheit ausgelassen. Ihre Eltern
waren wirklich nicht zu beneiden gewesen.
„Nun, Micha hatte mir damals
beigebracht, wie man mit einem einfachen Stück Draht die kompliziertesten
Schlösser knackt. Ich habe nächtelang an allen Schlössern, die in unserer Wohnung
zu finden waren, geübt, bis ich richtig gut war. Für das Schreibtischschloss
meines Vaters brauchte ich schließlich nur noch fünf Sekunden.“
Plötzlich begriff Maarten, worauf
Tomke mit ihrer Kindheitserinnerung hinaus wollte. Er starrte sie mit offenem
Mund an. „Das ist nicht dein Ernst“, japste er heiser.
Tomke rollte mit den Augen.
„Maarten, tut mir leid, dir das sagen zu müssen, aber du warst schon immer ein
Schisser.“ Sie streckte ihr Fischmesser in seine Richtung und zeigte direkt auf
seine Brust. „Ich bin sicher, dass ich es problemlos schaffen würde, die Pläne
aus Georgs Büro zu holen. Es müsste nur jemand Schmiere stehen.“
„Am helllichten Tag?“, krächzte
Maarten entsetzt.
„Natürlich nicht.“ Tomke zog
verschmitzt einen Mundwinkel nach oben und warf ihm einen schmachtenden Blick zu.
„Sag mal, Maarten, hast du heute Nacht schon was vor?“
21
Ob Sieverts etwas ahnte? Es würde
ihn nicht verwundern, denn Sieverts war ein schlauer Kopf. Und man sah ihn weniger
lachen in der letzten Zeit. Er schien nervös zu sein. Nun, dachte er und ein bitteres
Lächeln ging über sein Gesicht, das kannte er selbst ja nur zu gut. Sobald man
zu ahnen begonnen hatte, was hier gespielt wurde, begannen die schlaflosen
Nächte. Und Sieverts sah aus, als hätte er bereits seit Längerem keine ruhige
Nacht mehr gehabt.
Er war auf der Bauplattform
gewesen und hatte sich die Arbeiten an der Windlady II angeschaut,
obwohl er ja eigentlich für die Projekte vor der schottischen Küste verantwortlich
war.
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