Windbruch
Gebäude
auch sein mochte, hier hatten die Konstrukteure einen Fehler gemacht. Sie
hatten die Windstärken an der Nordseeküste unterschätzt. Das kam davon, wenn
man einen italienischen Architekten beauftragte, der zwar über ästhetisches
Feingespür verfügte, aber keine Ahnung von ostfriesischen Wetterlagen hatte,
dachte Maarten und verzog das Gesicht.
„Du müsstest dir dann mal einen
anderen Platz suchen“, forderte Maarten seine Kollegin Inka Henzler auf, die
nun von der tief stehenden Sonne geblendet wurde. „Tut mir leid.“
„Kein Problem“, murmelte Inka und
setzte sich auf einen Stuhl auf der anderen Seite des Tisches.
„Können wir dann weitermachen?“,
fragte Georg Hufschmidt und steckte sein Handy in die Tasche, das pene-trant
angefangen hatte zu läuten, als Maarten aufgestanden war. „Ich muss gleich weg.
Es gibt Probleme bei der Firstlady, um die ich mich kümmern muss.“
Inka Henzler und Georg Hufschmidt
arbeiteten ebenfalls als Ingenieure bei N.S.OffshorePower Ltd. und
trafen sich wöchentlich zu einem fixen Termin mit ihren Kollegen aus den
anderen Abteilungen. Von Anfang an war Hufschmidt in die Planungen der Windlady
I und II mit eingebunden gewesen, und aufgrund ihres Modellcharakters war
ihm die Windlady I sehr ans Herz gewachsen. Und weil er so beeindruckt
von ihr war, hatte er sie Firstlady getauft. Ein Begriff, der inzwischen von
allen intern nur noch verwendet wurde, wenn von der riesigen Windkraftanlage
die Rede war.
„Deine Firstlady müsste sich noch
ein wenig in Geduld üben, bis wir hier fertig sind“, maulte Tomke schlechtgelaunt,
was ihr einen finsteren Blick von Georg eintrug. Sie hatte Kopfschmerzen und
wäre gerne nach Hause gegangen. Aber ihre obersten Chefs hatten für den
Nachmittag noch zu einem außerordentlichen Meeting geladen und würden, so
hatten sie unmissverständlich verlauten lassen, keinerlei Ausreden dulden, was
auch immer es für welche sein mochten.
„Könnten wir dann bitte
weitermachen“, knurrte Maarten, der solch ein Rumgezicke nicht leiden konnte.
Außerdem hatte er schon seit Tagen schlechte Laune, nachdem er die Polizeiakte
studiert und zu keinem schlüssigen Ergebnis gekommen war. Es machte ihn
wahnsinnig, dass er in dieser Sache nicht vorankam. Wie nebenbei hatte er Georg
kurz nach seinem Polizeibesuch mal nach den Plänen für die Windlady II gefragt. Der aber hatte ihn nur misstrauisch beäugt und sie zur Geheimsache erklärt.
Maarten verstand sich gut mit Georg, der aber wollte sich nie so richtig in die
Karten schauen lassen, wenn es um seine Arbeit ging. Auch wenn er es nie gesagt
hatte, hatte Maarten das Gefühl, dass Georg Angst hatte, Maarten würde ihm
seinen Posten streitig machen. Natürlich hatte Maarten ihm mehrmals versichert,
dass Emden für ihn nur ein Spiel auf Zeit sei, aber Georg blieb vorsichtig.
Sie saßen noch etwa für eine
halbe Stunde beisammen, um sich über ihre Projekte auszutauschen und die in der
kommenden Woche zu erledigenden Arbeiten aufeinander abzustimmen. Nach einem abschließenden
Statement von Inka löste sich die Sitzung schnell auf. Auch Tomke raffte ihre
Unterlagen zusammen und strebte schnellen Schrittes der Tür zu, als Maarten sie
am Ärmel ihres Kittels zurückhielt. „Einen Moment noch, Tomke, ich müsste noch
was mit dir besprechen“, sagte er hastig.
„Alles o. k., Maarten?“, fragte
Tomke und zog die Augenbrauen hoch. „Bist ja so hektisch.“
Nervös fuhr sich Maarten mit der
Hand über das Gesicht. „Ja, bin etwas nervös zurzeit. Wollte fragen, ob du
heute Abend mal Zeit hast, mit mir Essen zu gehen. Ich würde dir gerne was
erzählen und dich um deine Meinung bitten.“
„Scheint wichtig zu sein.“
„Für mich ja.“
„Na gut. Eigentlich hatte ich
heute schon was vor, aber das lässt sich verschieben. Sagen wir 19 Uhr im
Restaurant an den Kapitänshäusern?“
„Gerne.“
Zu seinem Erstaunen drückte Tomke
ihm einen schnellen Kuss auf die Wange, dann war sie verschwunden. Er schaute
ihr perplex hinterher und fragte sich, warum ihm plötzlich ein heißer Schauer
über den Rücken lief.
„Ich frage mich wirklich, was in
den letzten Tagen mit dir los ist, Maarten“, sagte Tomke und schaute ihn
prüfend an. „Du bist nun seit mehr als zwei Monaten hier und hast eigentlich
die ganze Zeit den Eindruck vermittelt, als seiest du ganz zufrieden mit dir
und der Welt. Aber seit einigen Tagen siehst du nicht nur unausgeschlafen aus,
sondern muffelst auch nur noch vor
Weitere Kostenlose Bücher