Windbruch
Mettwurst kaute, „Wind
gibt’s doch immer.“
„Ist mehr ein technisches
Problem“, erwiderte Maarten und erklärte kurz, woher seine Befürchtungen kamen.
„Du meinst, die setzen für `n
bischen Geld das Leben von Leuten aufs Spiel?“, fasste sein Vater zusammen, und
er klang jetzt ehrlich empört. „Das kann doch nicht sein, dass einer so wenig Anstand
hat.“
„Doch, Vadder, leider kann das
sein. Das kommt sogar öfter vor als man denkt.“
„Aber nun iss man noch was, musst
ja schließlich bei Kräften bleiben, so viel wie du arbeitest“, versuchte seine
Mutter vom Thema abzulenken, kam aber im nächsten Moment selbst wieder darauf zurück.
„Ach, jetzt fällt mir ein, Sonja hat mir die Tage erzählt, dass die kleine
Tomke aus Canhusen auch bei den Windmühlen arbeitet. Hast du sie schon
getroffen?“
„Ja, sicher, ich arbeite eng mit
ihr zusammen. Klein ist sie aber nicht mehr.“ Maarten schluckte. „Sie ist auch
auf der Plattform da draußen“, fügte er schleppend hinzu und ließ seine Gabel
auf den Teller fallen. „Tut mir leid, Mudder, aber ich kann nichts essen,
solange ich nicht weiß, was da draußen los ist.“
„Macht ja nix, mien Jung, ich
friere es einfach ein. Weißt du, Grünkohl kann man gut einfrieren. Schmeckt
nach dem Aufwärmen fast noch besser als frisch.“ Noch während sie das sagte,
war sie aufgestanden und wühlte nun in einer Schublade nach der passenden Tupperdose.
„Weißt du was, Maarten“, sagte sie, nachdem sie eine der zahlreichen Plastikdosen
nach intensiver Sichtkontrolle für gut befunden hatte und anfing, den Grünkohl
hineinzuschaufeln, „heute Nacht bleibst du mal schön hier. Sonst fährst du
nachher noch mit`m Auto in`n Schloot, so`n Wind wie heute is.“
Mit einem tiefen Seufzer sah
Maarten aus dem Fenster. Draußen tobte ein Orkan, wie er ihn seit seiner
Kindheit nicht mehr erlebt hatte. Er dachte an die Worte von Fischer Hinni: Der
Wetterbericht sacht Stärke neun. Wird aber schlimmer. Viel schlimmer. Er
hatte recht behalten. Der starke Wind pfiff so geräuschvoll um die Häuser, dass
selbst sein sonst so ruhiger Vater immer mal wieder mit gerunzelter Stirn zur
Decke hinaufschaute, als könne er auf diese Weise erkennen, ob noch alle Ziegel
auf dem Dach waren. Beim Nachbarn gegenüber zumindest war das nicht der Fall.
Hier war soeben die Feuerwehr vorgefahren, und die Männer und Frauen versuchten
verzweifelt, das Dach mit einer Plane abzudichten, damit die darunter liegenden
Räume wenigstens notdürftig vor dem starken Regen geschützt waren. Ein
aussichtsloses Unterfangen, wie sich schon sehr bald herausstellte. Irgendwann
gaben sie auf, und der Hausherr kam mit einer Flasche Schnaps und zahlreichen
kleinen Gläsern herausgelaufen.
Maarten fing beim Anblick der
Blaulichter, deren zuckende Blitze sich vielfach in ihren regennassen
Küchenfenstern spiegelten, an zu frösteln. Er dachte an Tomke auf der Plattform.
Wenn ihr was passierte, würde ihr keine Feuerwehr helfen können. Überhaupt
würde ihr so schnell keiner helfen können. Denn bei diesem Wetter war es
ausgeschlossen, dass auch nur ein Schiff in See stechen oder ein Helikopter
seinen Hangar verlassen würde. Nein, wenn da draußen in der tosenden See etwas
passierte, wären die Menschen auf sich selbst gestellt. Vermutlich für Stunden.
Das Wort Todesurteil schoss ihm durch den Kopf und er schlug unwillkürlich
die Arme vor der Brust zusammen, als ein Zittern seinen Körper durchfuhr.
„Is dir kalt, mien Jung?“, fragte
sein Vater. „Komm, jetzt trinken wir `nen schönen Grog.“ Beherzt griff er nach
einer Flasche Rum, die neben ihm im Regal stand. „Mach doch mal Wasser heiß“,
bat er seine Frau, und schon wenig später standen die dampfenden Gläser mit dem
kleinen gläsernen Rührstab vor ihnen auf dem Tisch. Maarten nickte seinen
Eltern dankbar zu und tat ein wenig Zucker hinein. Den ersten Schluck, den er
nahm, spürte er heiß und brennend die Speiseröhre bis hin zum Magen
hinunterlaufen. Hm, verzog er das Gesicht, sein Vater hatte ein großzügiges
Mischungsverhältnis gewählt. Aber sofort setzte auch die wärmende Wirkung ein.
Entspannt lehnte er sich auf dem Ostfriesensofa zurück, legte sich die weiche
Kamelhaardecke über die Füße und schloss für ein paar Augenblicke die Augen.
Ach, sich einfach mal von seinen Eltern verwöhnen zu lassen und hier gemütlich
mit ihnen zu sitzen, war auch mal schön. Fast hätte er in seiner langsam
einsetzenden Trägheit
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