Windbruch
dich habe.“ Er legte das in rotes Glanzpapier eingewickelte
Päckchen auf die Finger seiner rechten Hand und balancierte es, vorsichtig wie
einen kostbaren Schatz, langsam in ihre Richtung.
„Du bist ja total irre!“, presste
Tomke hervor und wich wieder hinter ihren Schreibtisch zurück. Hektisch sah sie
sich um. Sie hatte keinen Platz mehr auszuweichen, zwischen ihrem Schreibtisch
und dem Fenster waren nur maximal zwei Meter Platz. „Was willst du von mir?“,
fragte sie und versuchte, ihrer Stimme einen festen Klang zu geben. War sie im
falschen Märchen, oder was?
„Nur das, was du auch von mir willst. Liebe.“
„Oh mein Gott, das ist nicht dein
Ernst!“, keuchte Tomke entsetzt und merkte im gleichen Moment, dass ihre Stimme
nun alles andere als fest klang. Sie musste hier raus! Mit den Augen maß sie
den Abstand bis zur Glastür. In diesem Moment sah sie jemanden am Büro vorbeigehen.
Sie konnte nicht erkennen, ob der- oder diejenige zu ihr hereinsah, denn im
Gang war es dunkel, hier drinnen aber taghell. „Hallo“, rief sie laut und
winkte heftig in Richtung Tür. Entschlossen machte sie einen Schritt nach
vorne, holte aus und rammte ihrem immer noch schmachtenden Gegenüber die Faust
in den Solarplexus, so dass er im nächsten Moment laut aufstöhnend und nach
Luft schnappend in sich zusammensackte. Leider kippte er jedoch genau zur falschen
Seite, und als sie einen weiteren Schritt tat, stolperte sie über ihn und flog
der Länge nach hin. Sie spürte, wie er sie am Bein fasste. „Bleib bei mir“,
keuchte er, „verlass mich nicht, Liebe meines Lebens. Tomke, ich ...“
Sie stieß ihn mit dem Fuß weg, im
nächsten Moment aber schmiss er sich auf sie und drückte sie mit aller Gewalt
auf den Boden, so dass sie kaum noch Luft bekam. Woher nur nahm dieser
verdammte Bastard seine Kraft, fragte sich Tomke und spürte, wie er anfing, an
ihrem Pullover zu nesteln. „Gib dich mir hin“, keuchte er, „hier und jetzt. Du
willst es doch auch, das weiß ich ganz genau.“ Tomke versuchte, sich aus seinem
Klammergriff zu befreien, aber er musste Eisenklauen haben. Sie spürte, wie ihr
etwas Nasses in die Haare tropfte. Sie drehte ihren Kopf soweit es ging nach
oben. Oh Gott, dachte sie und meinte, sich vor Ekel übergeben zu müssen, dem
läuft ja der Sabber aus dem Gesicht! In ihrer Verzweiflung öffnete sie nochmals
den Mund und versuchte um Hilfe zu rufen. Aber der Schrei erstickte in ihrer
Kehle. Der Kerl drückte ihr mit seinem Gewicht die Luft ab.
Auf einmal hörte sie, wie jemand
die Tür öffnete. Hoffnungsvoll sah sie auf – und vernahm im nächsten Moment
einen so ohrenbetäubenden Knall, dass sie meinte, ihr Trommelfell würde
zerspringen. Entsetzt zog sie den Kopf wieder ein und versuchte instinktiv, ihn
mit ihren Armen zu schützen. Nur Sekunden später spürte sie, wie ihr Peiniger
von ihr abließ und zur Seite kippte. Mit letzter Kraft rappelte sie sich auf.
Sie schwankte. Alles um sie herum schien plötzlich zu schwanken. Sie versuchte,
ihr Gleichgewicht wieder zu finden, doch kurz darauf hörte sie, wie hinter ihr
eine Glasscheibe mit einem markerschütternden Krachen zerbarst. Voller Panik
versuchte sie, sich durch die Tür zu retten. Doch es war zu spät. Schon im
nächsten Moment wurde sie von einer eisigen Flutwelle überrollt - und alles um
sie herum versank in tiefem Schwarz.
30
Nervös stocherte Maarten in
seinem Essen herum. Seine Mutter hatte ihn für den Abend zum Grünkohlessen
eingeladen. Sie hatte sich so darauf gefreut, ihm endlich mal wieder sein
Lieblingswinteressen kochen zu können, dass er sich nicht getraut hatte
abzusagen und trotz des Orkans in seinen Wagen gestiegen und nach Groß Midlum
gefahren war. Was ihr natürlich auch nicht recht gewesen war. Sie hatte ihn
ordentlich ausgeschimpft, dass er sich bei solch einem Wetter ins Auto setzte.
„Schmeckt’s dir nicht, mien
Jung?“, fragte sie nun und sah enttäuscht auf seinen Teller, der sich kaum
geleert hatte, seit sie ihm mit einem großen Löffel Grünkohl und Kartoffeln
darauf geschaufelt und eine große, fette Wurst dazugelegt hatte. „Zu wenig
Hafergrütze vielleicht?“
„Nein, Mudder, es ist perfekt“,
entgegnete Maarten und tätschelte ihr die Hand. „Es ist nur ... unsere Leute
sind draußen auf See. Auf der Plattform bei der Windmühle. Ich mache mir
Sorgen, dass da was passiert, bei diesem Sturm.“
„Wat soll denn da passieren“,
brummte sein Vater, während er schmatzend auf seiner
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