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Windbruch

Windbruch

Titel: Windbruch Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Elke Bergsma
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höheren Windgeschwindigkeiten als den offiziell
vorhergesagten zu rechnen sei. Naumann aber habe seine Warnungen in den Wind
geschlagen und sie als, so wörtlich „schwachsinnige Befürchtungen“ abgetan. Er
selber habe dann gemeinsam mit seiner Kollegin Inka Henzler versucht, die
Piloten der firmeneigenen Hubschrauberflotte zur Evakuierung zu überreden, da
sei es aber aufgrund des inzwischen viel zu starken Windes für einen Einsatz zu
spät gewesen. „Wenn Sie mich fragen, handelt es sich bei diesem Vorfall also
nicht um ein Unglück, sondern ganz klar um fahrlässige Tötung, für die alleine
der Vorstand dieser Firma verantwortlich ist“, gab Sieverts abschließend zu
Protokoll.
    Die Aussage Sieverts’ führte
zu tumultartigen Szenen im Saal, als alle Medienvertreter auf einmal mit Fragen
nicht nur auf ihn, sondern auch auf die Mitglieder des Vorstandes einstürmten.
Weder von Naumann noch von Rhein aber war hierzu eine Stellungnahme zu
bekommen. Überhaupt stieß das Verhalten des zweiten Vorstandes, Hayo Rhein, während
der gesamten Pressekonferenz auf Befremden unter den Anwesenden, da er, indem
er kein einziges Wort sagte und stattdessen ständig Blicke auf seine Armbanduhr
warf, einen provokativ desinteressierten Eindruck am Geschehen vermittelte und
zwischendurch sogar den Saal verließ, um zu telefonieren. Eine Stellungnahme zu
diesem doch recht bizarren Verhalten war von ihm trotz mehrfacher Bemühungen
auch nach der Konferenz nicht zu bekommen. Vielmehr verließ er diese
fluchtartig mit der Begründung, noch einen wichtigen Termin zu haben.
    Für die brisante Aussage von
Dr. Maarten Sieverts, selbst gebürtiger Ostfriese, dürften sich in den
kommenden Tagen nicht nur die Medien, sondern vor allem auch die Staatsanwaltschaft
brennend interessieren. Sollte sich diese Aussage als richtig erweisen, hätte
die N.S.OffshorePower Ltd. einen handfesten Skandal zu überstehen, wie er in
der Geschichte dieses bisher so erfolgreich am Markt operierenden Konzerns
einmalig sein dürfte.
    Unterdessen wurde bekannt,
dass sich nun auch der niedersächsische Innenminister Ralf Hünemann persönlich
der Angelegenheit annehmen wird. Aus seinem Büro verlautete, er werde sich
zunächst ein umfassendes Bild über die Vorkommnisse machen und kündigte für
Montag eine Pressekonferenz an.

36
    „ Am nächsten Morgen waren die
Kinder schon in aller Frühe wach. Die Sonne schien durch die Fenster, und von
Ferne rauschte die See. Wie herrlich, aus dem Bett zu springen und an den
Strand zu eilen, sich in die blauen Wellen zu stürzen und zur Felseninsel
hinüberzusehen! ‚Ich gehe noch vor dem Frühstück baden’, sagte Julius und nahm
seine Badesachen. ‚Gehst du mit, Richard?’ “
    Maarten sah von dem
orangefarbenen Kinderbuch auf, weil er meinte, Tomke habe sich bewegt. Aber da
hatte er sich wohl geirrt, dachte er enttäuscht und wandte sich wieder ihrem
Lieblingsbuch zu, Fünf Freunde auf geheimnisvollen Spuren von Enid
Blyton. Zumindest war es damals, in ihrer Kindheit, Tomkes absoluter Favorit
unter den Blyton-Büchern gewesen. Was sie jetzt, im Erwachsenenalter, las, das
wusste er nicht. Überhaupt wusste er viel zu wenig von ihr, wie ihm beim
intensiven Nachdenken über sie in der letzten Nacht aufgefallen war. Nun, das
würde sich ändern, sobald Tomke wieder aufgewacht war. Sie würde keine Ruhe
mehr vor ihm bekommen, bevor sie ihm nicht alles über ihre Vorlieben, Träume
und Wünsche verraten hätte.
    Erneut hob er seinen Blick und
sah sie wehmütig an. „Versprichst du mir, dass du mich nicht alleine lässt?“,
fragte er leise, und zum wiederholten Male traten Tränen seine Augen. Er hatte
nicht gewusst, wie sehr man einen Menschen vermissen konnte, obwohl dieser
nicht einmal einen Meter von einem entfernt war. Überhaupt hatte er sich nie
sonderlich viel Gedanken um menschliche Nähe gemacht. Natürlich, auch er war
schon ab und an mal verliebt gewesen, hatte mehr oder weniger lange Beziehungen
mit Frauen gehabt. Letztlich aber hatte er sich seinen Gefühlen nie richtig
hingegeben, seine Karriere hatte immer an erster Stelle gestanden. Mit dem
Ergebnis, dass ihm jede Frau über kurz oder lang den Laufpass gegeben hatte,
was ihn allerdings nie besonders berührte.
    Nun aber saß er hier vor Tomkes
beinahe leblosem Körper und ihm war, als würde ihm der Anblick ihres bleichen,
ausdruckslosen Gesichts, das verklebt war mit Schläuchen und Pflastern, das
Herz zerreißen. Jede Sekunde ein bisschen mehr.

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