Windbruch
verspürte nicht wenig
Lust, ihn zu packen und mit dem Kopf auf die Schreibtischplatte zu hauen. Aber
er riss sich zusammen, denn plötzlich wusste er, was er zu tun hatte. Er atmete
tief durch und ging dann scheinbar ruhigen Schrittes in den Saal, in dem die
Pressekonferenz stattfinden sollte.
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Ostfriesenzeitung vom 17.
November
Tragödie im Offshore-Windpark
Eklat bei
Pressekonferenz – Trägt Vorstand Verantwortung für Tod von 13 Menschen?
(Emden) Dreizehn Tote, drei
Vermisste und vier Schwerverletzte lautet die traurige Bilanz der Tragödie, die
sich in der Nacht zum Mittwoch im Windpark der N.S.OffshorePower Ltd. vor
Borkum ereignete. Kurz bevor das international tätige Unternehmen mit Stammsitz
in Großbritannien am gestrigen Vormittag zur Pressekonferenz geladen hatte,
machte die Nachricht die Runde, dass eine siebzehnjährige Schülerin aus
Twixlum, die bei der Firma ihr Schulpraktikum absolvierte, ihren schweren
Verletzungen erlegen ist. Die Unternehmensführung war sichtlich um Schadensgrenzung
bemüht – hatte ihre Rechnung jedoch offensichtlich ohne Dr. Maarten Sieverts
gemacht, der selbst ein großes Ingenieurbüro in New York betreibt und zurzeit
an einem gemeinsamen Projekt mit der N.S.OffshorePower Ltd. in Emden arbeitet.
Er erhob während der Pressekonferenz schwere Vorwürfe gegen den Vorstand.
Das Entsetzen stand ihm ins
Gesicht geschrieben, als Vorstand Hans-Jürgen Naumann in Begleitung seines Vorstandskollegen
Hayo Rhein und Emdens Oberbürgermeister Jakob Folkerts im großen Konferenzsaal
seines Unternehmens eintraf, wo bereits mehrere Dutzend Medienvertreter aus dem
In- und Ausland auf ihn warteten.
Ein sichtlich bewegter OB
Folkerts ergriff als erster das Wort, sprach zunächst den Angehörigen der Opfer
sein tief empfundenes Mitgefühl aus und wünschte den Verletzten, die zurzeit im
Emder Krankenhaus um ihr Leben kämpfen, eine baldige und vollständige Genesung.
Er betonte, dass er zu diesem Zeitpunkt noch keine Erklärung dafür habe, was in
der „schicksalhaften Nacht, die wir alle wohl niemals vergessen werden“
tatsächlich geschehen sei. Derzeit gehe man von einem technischen Defekt an der
Windkraftanlage Windlady II aus, deren Gondel sich samt Rotor vom Stahlmast
gelöst habe und auf die Bauplattform gestürzt sei. Unabhängige Gutachter seien
inzwischen am Unglücksort eingetroffen und versuchten, den Verlauf des Unglücks
zu rekonstruieren. Auch habe die Staatsanwaltschaft die Ermittlungen aufgenommen.
Naumann betonte, nachdem auch
er sein Beileid bekundet hatte, in seinem mit zittriger Stimme vorgetragenen
Statement, dass man als verantwortliches Unternehmen daran interessiert sei,
dass die Vorkommnisse restlos aufgeklärt würden. Es sei ihm unerklärlich, wie
es zu dem „einfach schrecklichen Unglück“ habe kommen können, lege man bei der
N.S.OffshorePower Ltd. doch von jeher höchsten Wert auf Qualität, auch habe die
Sicherheit der Mitarbeiter selbstverständlich immer höchste Priorität.
Auf die Frage eines
Medienvertreters, warum die zwanzig Personen, die sich zum Zeitpunkt des
Unglücks auf der Bauplattform befanden, nicht rechtzeitig evakuiert worden
seien, antwortete Naumann, dass der Seewetterbericht lediglich Windstärke neun
vorausgesagt habe, und das sei „kein Wert bei dem man sich hätte Sorgen machen
müssen“. Schließlich sei man sich im Unternehmen bewusst, dass es in der Nordsee
zu solch hohen Windgeschwindigkeiten kommen könne und habe die technischen
Anlagen entsprechend darauf ausgerichtet. Selbst bei einem Orkan, wie er
gestern vor der Küste getobt habe, könne unter normalen Umständen nichts passieren.
Als weitere Fragen auf ihn einprasselten, bat er um Verständnis, dass man
zunächst den Abschluss der Untersuchungen abwarten wolle, bevor man
detaillierte Auskünfte geben könne.
Naumann war bereits
aufgestanden, um die Pressekonferenz zu verlassen, als sich plötzlich Dr.
Maarten Sieverts, der im Publikum gesessen hatte, zu Wort meldete und mit
seinen Ausführungen für einen Eklat sorgte. So behauptete er, Naumann erst vor
wenigen Tagen darauf aufmerksam gemacht zu haben, dass bei der Konstruktionsplanung
der Windlady II ganz offensichtlich Fehler gemacht worden seien, die die
Standsicherheit der Anlage gefährdeten. Und eben weil er, Sieverts, dies
gewusst habe, habe er Naumann bereits am frühen Nachmittag des Unglückstages
aufgefordert, die Arbeiter unverzüglich von der Plattform zu evakuieren, da
zudem mit deutlich
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