Windbruch
bereits wieder mit einem grünen Tuch abgedeckt,
als er Sekunden später eintrat.
„Ein hochinteressanter Fall“,
sagte der glatzköpfige Pathologe mit einem Leuchten in den Augen und deutete
mit einem Skalpell auf die Tote unter dem Tuch. Anscheinend konnte er es gar
nicht erwarten, wieder an ihr herumzuschnippeln.
„Hm“, sagte der Hauptkommissar
spröde, „Sie können dann ja gleich weiterspielen, wenn ich wieder weg bin.
Können Sie schon sagen, woran die Frau gestorben ist?“
„Ja, zunächst dachte ich, sie
wäre ertrunken, da sie Wasser in der Lunge hat.“
„Aber?“
„Nun, irgendwie ist sie das auch,
aber zuvor muss sie noch mit der Säure in Berührung gekommen sein.“
Büttner spürte, wie sich sein
Magen wieder hob und er atmete tief durch. „Das heißt, sie hat die Verätzungen
bei vollem Bewusstsein miterlebt?“, fragte er mit dünner Stimme.
„Wenn sie nicht vorher aus einem
anderen Grund ohnmächtig war, dann ja. Sie zeigt aber, soweit ich das
angesichts der umfangreichen Verätzungen noch beurteilen kann, keinerlei
Verletzungen am Schädel auf, die auf eine Ohnmacht hindeuten könnten. Womöglich
hätte sie ohne die Säure sogar eine Überlebenschance gehabt.“
„Sie ist durch die Hölle
gegangen.“
„Wenn Sie es so ausdrücken
wollen. Gegen das, was die arme Frau in diesem Fall mit hoher
Wahrscheinlichkeit durchgemacht hat, dürfte das Fegefeuer allerdings ein Ponyhof
sein.“
„Oh, mein Gott!“, entfuhr es
Büttner. Weniger vor Entsetzen über die soeben gehörten Ausführungen, als
darüber, dass vor der Tür ein Mann mittleren Alters stand, dem bei den Worten
des Mediziners offensichtlich alle Farbe aus dem Gesicht gewichen war und der
jetzt am ganzen Körper zitterte. Soeben griff ihm eine Krankenschwester unter
den Arm, um ihn wegzuführen. Sie warf ihrem Chef einen vernichtenden Blick zu.
„Das war wohl der Ehemann“, sagte
dieser emotionslos.
„Können Sie schon sagen, mit was für
einer Säure die Frau ... in Berührung kam?“
„Nein, das wird gerade im Labor
untersucht. Ich denke, dass wir das Ergebnis spätestens morgen haben.“
„Ich brauche es noch heute.“
Der Pathologe zuckte mit den
Schultern. „Wir tun, was wir können.“
„Nun gut. Ich werde noch mal ein
paar Leute auf die Plattform rüberschicken. Sie sollen schauen, ob sich
irgendwo so was wie Säure befindet. Denn irgendwo muss sie ja herkommen, auch
wenn mir schleierhaft ist, wofür man solch ein Teufelszeug da draußen
gebrauchen könnte.“ Er tippte sich mit den Finger an einen imaginären Hut und
verließ den Saal.
Stunden später saß David Büttner
an seinem Schreibtisch, klopfte monoton mit einem Finger auf den Telefonhörer
und starrte mit leerem Blick in die Dunkelheit hinaus. Soeben hatte er von
seinen Leuten die Mitteilung bekommen, dass sich in den unteren Etagen der
Plattform tatsächlich ein kleineres Säuredepot befunden haben musste. Zwar war
kein Behältnis mehr zu sehen, Experten hatten aber mit einer Spezialkamera
Spuren der Säure auf dem Fußoden feststellen können.
Der Fall wurde immer verworrener.
Noch heute Morgen hatte Büttner es mit drei Fällen zu tun gehabt: Wirtschaftskriminalität
in Tateinheit mit fahrlässiger Tötung, mutmaßliche Vergiftung des Ingenieurs
Hauke Langhoff, Mord an Ingenieur Steffen Rautschek. Und jetzt kam
offensichtlich noch ein Umweltskandal hinzu, ebenfalls in Tateinheit mit der
fahrlässigen Tötung einer, so wurde ihm berichtet, äußerst lebenslustigen
jungen Frau, die auf der Plattform aushilfsweise als Sekretärin gearbeitet
hatte.
Mit Widerwillen dachte der
Hauptkommissar an die Vernehmung vom Tag zuvor. Selten hatte er solch eine Flachpfeife
vor sich gehabt wie diesen Naumann. Schweißüberströmt hatte er vor ihm und
seinem Kollegen von der Wirtschaftskriminalität gesessen und wirres Zeug
gestammelt, der feine Herr Vorstand. Fast hätte man Mitleid mit diesem Häufchen
Elend haben können. Aber dafür war Büttner schon zu lange im Geschäft. Denn
gerade die Herren, das wusste er inzwischen, die zeitlebens den King Louis machten
und Autos fuhren, mit denen sie ihre nur spärlich ausgefüllte Unterhose ein
wenig aufblasen wollten, wurden in solchen Stresssituationen wieder zu
sabbernden Kleinkindern, die am liebsten in den Schoß ihrer Mutter zurückkriechen
würden. Jämmerlich. Anders konnte man das nicht bezeichnen.
Naumann hatte zugegeben, von den
manipulierten Plänen der Windlady II gewusst zu haben. Angeblich
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