Windbruch
letztlich
ausging.
Büttner räusperte sich
vernehmlich, um den Frosch aus seiner Kehle zu vertreiben, der sich beim
Anblick des ganzen Elends da eingeschlichen hatte. „Ich würde jetzt gerne all
jenen ein paar Fragen stellen, die zum Zeitpunkt der Entführung für den kleinen
Jungen verantwortlich oder in seiner Nähe waren“, sagte er mit rauer Stimme.
Seine Wortwahl traf Maarten wie
ein Hammerschlag. Die zum Zeitpunkt der Entführung für den kleinen Jungen verantwortlich
waren . Ja, das war er gewesen. Aber nicht in seiner Nähe. Das alles hier
konnte nur ein Alptraum sein. Aber sooft er sich auch kniff, er wachte nicht
auf, sondern musste sich ihm stellen. Jede Sekunde, jede Minute, jede Stunde.
Gerne hätte er Sonja ein par tröstende Worte gesagt, aber seine Kehle war wie
zugeschnürt, sein Mund wie ausgedörrt. Und er hatte Angst. Angst, sie könne ihm
die Wahrheit ins Gesicht brüllen, ihn für alles verantwortlich machen. Auf der
anderen Seite wünschte er sich, sie würde es endlich tun. Dann wäre wenigstens
diese schreiende Stille vorbei, die sich wie Blei auf seine Schultern senkte
und ihn zu erdrücken drohte.
54
Minutenlang ließ er sich das
heiße Wasser einfach nur über den Körper laufen. Seine Haut war schon krebsrot,
aber das störte ihn nicht. Er hatte das dringende Bedürfnis, sich zu reinigen.
Der Ausdruck Sich von der Schuld reinwaschen war ihm für einen kurzen
Moment durch den Kopf geschossen, als er in die Duschwanne gestiegen war, und
der Satz hatte bitterer geschmeckt als Galle. Hauptkommissar Büttner hatte ihn
gleich nach der Vernehmung nach Hause geschickt, obwohl er, Maarten, darauf
bestanden hatte, sich an der Suche nach Tilman zu beteiligen. Aber schließlich
hatte er einsehen müssen, dass das nichts bringen würde. Nun stand vor seiner
Tür eine Zivilstreife und beobachte ihn. Die Polizei nannte es Personenschutz,
Maarten bezeichnete es als Kontrollposten, der verhindern sollte, dass er sich
doch noch in die Suche einmischte und womöglich, so hatte sich Büttner
ausgedrückt, die Polizeiaktion gefährdete.
Franziska hatte sich
entschlossen, ihn nach Hause zu begleiten, um ihn, wie sie sagte, nicht ganz
alleine mit seinen düsteren Gedanken zu lassen. Allerdings hatte er den
Eindruck, dass es in erster Linie sie war, die das Alleinsein derzeit nicht
ertragen konnte. Aber dennoch war er dankbar, jemanden zum Reden zu haben und
nicht nur stumpf auf das Telefon starren zu müssen, immer in der Hoffnung, dass
Entwarnung gegeben wurde.
Nach dem Duschen verzichtete
Maarten darauf, sich erstmal nur im Bademantel aufs Sofa zu setzen, wie er es
sonst gerne tat, sondern zog sich wieder Jeans und Pullover an, um sofort
aufbrechen zu können, wenn es Neues gab und jemand nach ihm verlangte. Es würde
eine lange Nacht werden, so viel stand fest.
Franziska hatte vorgeschlagen
ihnen eine Kleinigkeit zu kochen, während er unter der Dusche war. Aber alleine
der Gedanke an Essen verursachte bei ihm einen Würgereiz. Also setzten sie sich
nur ins Wohnzimmer, schenkten sich zur Beruhigung einen Cognac ein und sprachen
noch mal über die Ereignisse der letzten Tage. Sie versuchten, sich jede
Kleinigkeit noch mal zu vergegenwärtigen und hofften, dadurch doch noch auf ein
winziges Detail zu stoßen, dass sie vielleicht nicht ernst genommen oder
einfach übersehen hatten und das sie womöglich auf die Spur des Täters führte.
Aber so sehr sie sich auch die Köpfe zerbrachen, es führte zu keinem Ergebnis.
Die Nacht verging, ohne das etwas
Besonderes passierte. Hin und wieder brachten Maarten oder Franziska den Polizisten
eine Tasse Kaffee ans Auto und unterhielten sich kurz mit ihnen. Gegen Morgen
fiel Maarten auf dem Sofa sitzend in einen unruhigen Schlaf, aus dem er immer
wieder aufschreckte und dann enttäuscht feststellen musste, dass er all die
schrecklichen Dinge nicht geträumt hatte, sondern dass die Entführung von
Tilman grausame Realität war.
Es musste in etwa halb acht am
Morgen sein, als es plötzlich klingelte. Aufgeregt sprang Maarten auf und
rannte an die Tür. Als er sie öffnete sah er sich einem Jugendlichen von
vielleicht fünfzehn Jahren gegenüber, der ihm einen Briefumschlag
entgegenstreckte. „Soll ich hier abgegeben“, murmelte er und trat gleich,
nachdem Maarten den Brief entgegengenommen hatte, wieder den Rückzug an. Sein Gesicht
weitete sich vor Schrecken, als sich ihm plötzlich zwei Männer in den Weg
stellten, ihm ihre Polizeimarken unter die Nase
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