Windbruch
langsam an, ihre Bluse
aufzuknöpfen.
58
Hufschmidt starrte auf das Bündel
Mensch, das da vor seinen Füßen lag. Da hatten sie doch tatsächlich gedacht,
ihn übervorteilen zu können. Ihn! Georg Hufschmidt! Aber da mussten sie schon
früher aufstehen! Nur, was sollte er jetzt tun? Er hatte keinen Bedarf an
diesem, in ein blutiges Laken gehülltes Stück Mensch, das ungewöhnlich flach
atmete. Selbst Schuld! Hätten sie nicht versucht ihn zu verarschen, wäre es nie
soweit gekommen. Er hatte aber keine Lust, dass die Polizei womöglich schon wieder
vor seiner Tür stand, aber das würde sie bestimmt. Sie schnüffelten zurzeit ja
in allem herum. Nun, wenigstens war dieser Maarten Sieverts verschwunden.
Endlich hatte er kapiert, dass ihn hier keiner brauchte, dass er allen nur im
Weg war. Dass er nur Ärger machte.
Er musste das Bündel beiseite
schaffen. Er wusste auch schon wohin. Da war es schön feucht und dunkel – und
einsam. Und kaum einer wusste davon. Es war sein kleines Schloss. Sein ganz
privates Schloss, in das er seine Prinzessin einladen und verwöhnen würde.
Tomke würde von dem Bündel gar nichts erfahren. Warum auch. War ja nur ein
Paket. Natürlich würde der eine oder andere Fragen stellen. Aber sie würden
keine Antworten bekommen. Denn er war schlauer als sie. Er hatte alles perfekt
eingefädelt. Auch wenn es kurzzeitig so ausgesehen hatte, als würde es schief
gehen. Aber das konnte es ja gar nicht. Nichts, was er in die Hände nahm, ging
jemals schief!
Nun wurde es aber Zeit, das
Bündel aus dem Haus zu schaffen. Gleich würde seine Frau von der Arbeit kommen.
Und er hatte keine Lust darauf, dass sie das Bündel sah und Fragen stellte.
Gut, er würde ihr wie immer schnell das Maul stopfen. Aber er hatte eigentlich
gar keine Lust mehr darauf. Es erregte ihn nicht mehr, wenn sie schrie. Der
Gedanke an Tomke erregte ihn. Tomke. Nur noch wenige Tage, vielleicht nur
Stunden, und sie würde ihm gehören. Nein, von dem Bündel würde er ihr nichts
erzählen. Obwohl er schon ziemlich stolz darauf war, wie clever er das Problem
gelöst hatte. Bestimmt würde sie sich mit ihm freuen und sehr stolz auf ihn
sein, dass er sich nicht hatte verarschen lassen. Nun ja, er würde noch mal
darüber nachdenken. Erstmal musste er jetzt seinen Wagen vorfahren und das
Bündel Mensch zu seinem Schloss bringen. Und dort dann alles hübsch machen. Für
seine Prinzessin.
59
Maarten versuchte sich
abzulenken, so gut es eben ging. Gleich nach seiner Ankunft in New York hatte
er bei Franziska angerufen, da er bis zu diesem Zeitpunkt noch keinerlei Rückmeldung
bezüglich Tilman erhalten hatte. Er hatte sie mitten in der Nacht erwischt,
weil er in seiner Nervosität die Zeitverschiebung nicht bedacht hatte. Aber
Franziska war es egal gewesen, sie wolle sowieso die ganze Nacht wach bleiben,
hatte sie verkündet. Mit viel Kaffee und ab und zu mal einer kalten Dusche
würde das schon gehen, auch wenn es bereits die zweite Nacht in Folge sei. Von
dem kleinen Jungen gebe es nach wie vor leider keinerlei Lebenszeichen.
Obwohl er überzeugt davon war,
dass er die richtige Entscheidung getroffen hatte, haderte Maarten doch mit
seinem Entschluss, nach Amerika zurückgekehrt zu sein. Hätte er nicht in
Ostfriesland viel mehr erreichen können? Zumal es ja offensichtlich keinerlei
Auswirkungen zeigte, dass er gegangen war. Denn schließlich war Tilman ja nach
wie vor nicht auffindbar. Wenn er an die arme Sonja dachte, zerriss es ihm das
Herz. Ob sie ihn nun für einen Feigling hielt? Oder hatte sie seine
Entscheidung, Ostfriesland zu verlassen, begrüßt? Oder war sie womöglich ganz
einfach nur froh, dass er weg war? Er, der Taugenichts, durch den ihr Sohn und
sie erst in diese missliche Situation gekommen waren.
Franziska hatte erzählt, in
Ostfriesland laufe die Suche nach Tilman auf Hochtouren. Überall wimmle es von
Polizisten, an gefühlt jedem Baum und an jeder Mauer hingen Suchplakate,
ständig würde in Radio und Fernsehen berichtet. Selbst Hubschrauber und
Hundestaffeln seien eingesetzt worden, und man bekomme den Eindruck, als würde
jeder Stein einzeln umgedreht. Bei der N.S.OffshorePower Ltd. habe eine
Sondereinheit der Polizei praktisch ihr Zeltlager aufgeschlagen, was Vorstand
Hayo Rhein bereits zu mehreren unkontrollierten Wutausbrüchen veranlasst habe.
Die kleine Kröte sei wahrscheinlich nur weggelaufen und sitze irgendwo
putzmunter beim Eisschlecken, hatte er gebrüllt, und dass er solch
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