Windkämpfer
desto besser. Aber jetzt komm, wenn du noch länger ausbleibst, wird man sich zusammenreimen, dass du im Park jemanden getroffen hast.«
Sie erhoben sich und gingen weiter. Unter ihren Füßen knisterten die Tannennadeln. Vor ihnen drang der Schein von Sumpfgaslampen durch die Bäume.
»Hercól«, begann Tascha, »hast du irgendeine Vermutung, wer uns beobachten könnte?«
Aus Hercóls Stimme klang Unsicherheit. »Da war ein Mann, der mir bekannt vorkam, aber das kann eigentlich nicht sein …« Er schüttelte den Kopf, wie um einen bösen Traum zu verscheuchen. Sie hatten den Rand des Tannenwäldchens erreicht. »Sag es deinem Vater«, wiederholte er. »Und noch etwas, Tascha: Sag es ihm bitte, wenn er allein ist. Ganz allein, ja?«
Damit meinte er wohl: ohne Syrarys. Tascha versprach es.
Hercól lächelte. »Das hätte ich fast vergessen – ich soll dich von Ramachni grüßen.«
»Ramachni!« Tascha packte ihn am Arm. »Ramachni ist wieder da? Wie geht es ihm? Wo war er denn?«
»Frag ihn selbst. Er wartet in deinem Zimmer auf dich.«
Tascha war überglücklich. »Oh, Hercól! Das ist ein gutes Zeichen, nicht wahr?«
Wieder zögerte ihr Lehrer. »Es gibt keinen besseren Freund als Ramachni«, sagte er, »aber ich würde seinen Besuch nicht als gutes Zeichen werten. Sagen wir lieber, er kommt, wenn er gebraucht wird. Allerdings war er heute Abend guter Dinge. Er wollte sogar mit in die Stadt kommen, aber das habe ich ihm verboten. Seine Begrüßung wäre nicht ganz so … unauffällig ausgefallen wie bei mir.«
»Unauffällig!« Tascha lachte. »Du wolltest mich töten!«
Bei dem Wort ›töten‹ erlosch Hercóls Lächeln. »Geh geradewegs nach Hause«, sagte er. »Du kannst auch laufen, wenn du willst. Aber sieh dich nicht nach mir um. Sobald ich kann, besuche ich dich.«
»Was ist los, Hercól?«
»Die Frage raubt mir den Schlaf, liebes Kind. Und ich habe keine Antwort. Noch nicht.«
Er tastete im Dunkeln nach ihrer Hand und drückte sie fest. Dann machte er kehrt und verschwand zwischen den Bäumen.
* * *
Der alte Wächter an ihrem Gartentor verneigte sich mit ebenso viel Schwung wie zwei Jahre zuvor. Tascha hätte ihn am liebsten umarmt, aber sie wusste ja, dass sie den Mann damit in höchste Verlegenheit brächte. Stattdessen umarmte sie Jorl und Suzyt, die beiden Doggen, die, vor Ungeduld über ihre arthritischen Hüftgelenke winselnd, die Marmortreppe heruntergewatschelt kamen, um sie begrüßen. Es waren ihre ältesten Freunde, und damit sie das auch nicht vergaß, sabberten sie heftig. Tascha musste lachen, riss sich aber endlich los und wandte sich wieder dem Haus zu.
Lady Syrarys stand oben in der Tür. Sie war wunderschön auf die üppige Art der Ulluprid-Inseln: mit glutvollen schwarzen Augen, schwellenden Lippen, die stets den Eindruck vermittelten, gleich irgendein köstliches Geheimnis verraten zu wollen, und glattem schwarzem Haar, das ihr wie ein Wasserfall über die Schultern fiel. Sie war höchstens halb so alt wie der Admiral.
»Wirklich, liebes Kind«, sagte sie und verzog die hinreißenden Lippen zu einem Lächeln, »kaum eine Stunde aus der Schule, und schon bist du noch schmutziger als die Hunde. Einen Kuss bekommst du erst, wenn du dich gewaschen hast. Und nun komm herein!«
»Wird er wirklich Botschafter?«, fragte Tascha, ohne sich von der Stelle zu rühren.
»Er ist es schon, Liebes. Am Donnerstag hat er zu Füßen des Erhabenen den Eid geleistet. Du hättest ihn sehen sollen, Tascha. Stolz wie ein König.«
»Warum hat er mir denn nichts gesagt? Botschafter wo?«
»In Simja – hast du von dem Land schon einmal gehört? Stell dir vor, es liegt eingezwängt zwischen unserem Reich und dem der Feinde. Es heißt, dort liefen die Mzithrini in Kriegsbemalung durch die Straßen! Wir haben dir nichts erzählt, weil sich der Kaiser strikte Geheimhaltung ausbedungen hatte.«
»Ich hätte es niemandem verraten!«
»Aber du hast doch selbst gesagt, dass die Schwestern deine Post lasen. Nun komm schon herein! Nama wird uns gleich zu Tisch rufen.«
Tascha stieg die Treppe hinauf und folgte ihr in das große, schattige Haus. Sie ärgerte sich schon jetzt. Zwar hatte sie sich tatsächlich beklagt, dass ihre Briefe geöffnet und zerknittert bei ihr eintrafen. Aber Syrarys hatte nur gelacht und sie als Schwarzseherin bezeichnet. Jetzt glaubte sie ihr auf einmal: weil Taschas Sorgen in ihre Pläne passten.
Tascha war ziemlich sicher, worauf diese Pläne
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