Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Windkämpfer

Windkämpfer

Titel: Windkämpfer Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Robert Redick
Vom Netzwerk:
auf die Universität. Wie gesagt, er war ein hochbegabter und sehr fleißiger Student. Doch bald wurde seine Mutter krank und starb. Doldur erfuhr erst Jahrzehnte später, als er mit der Arbeit am Polylex beginnen wollte, dass sie Nacht für Nacht ihren Körper an die Lords und Fürsten am Kaiserlichen Hof verkauft hatte, um sein Schulgeld bezahlen zu können. Ihre Krankheit hatte sie sich von einem dieser Männer geholt.«
    »Wie entsetzlich!«
    Hercól nickte. »Die Schuldgefühle brachten Doldur um den Verstand. Aber er dachte sich eine infame Rache aus. Er brauchte viele Jahre für sein Polylex, aber er machte daraus ein aufrichtiges Buch: so aufrichtig, dass es all die bösen Menschen beschämte, die noch am Leben waren, einschließlich seines Kaisers. Das Buch erzählte von den Gewinnen aus dem Handel mit Sklaven und mit Todesrauch. Es offenbarte die Existenz der Gefängnisinsel Licherog – stell dir vor, bis dahin hatte niemand von diesem Ort gehört! Es berichtete von den Händlern, die den Flikkern Kinder abkaufen, um sie in Fabriken und Bergwerken arbeiten zu lassen. Und es zählte die Massaker, die niedergebrannten Dörfer und anderen Kriegsverbrechen auf, die die Herrscher mit großem Aufwand aus dem Gedächtnis ihrer Untertanen zu löschen versucht hatten.
    All das versteckte er häppchenweise in den üblichen fünftausend Seiten mit Belanglosigkeiten. Und dem Kaiser fiel es nicht auf. Vielleicht hatte er nie ein Wort davon gelesen. Jedenfalls gab er Doldur rasch seinen Segen. Das dreizehnte Polylex wurde gedruckt und verkauft.
    Der Skandal erschütterte das Reich bis in seine Grundfesten: Anderswo wurde das Buch nämlich sehr sorgfältig gelesen. Noch im gleichen Jahr wurde Doldur hingerichtet, und fast alle Exemplare seines Buches wurden ausfindig gemacht und verbrannt. Eine dreizehnte Ausgabe auch nur zu erwähnen war gefährlich. Auf ihren Besitz stand die Todesstrafe.«
    »Die Todesstrafe!«, rief Tascha. »Hercól, warum in aller Welt sollte die Mutter Prohibitor ausgerechnet mir ein solches Buch geben?«
    »Eine gute Frage. Seit ich zum letzten Mal hörte, dass jemand mit diesem Buch gefasst wurde, sind zwanzig Jahre vergangen. Damals war es eine alte Hexe, glaube ich. Auf Pulduraj.«
    »Was geschah mit ihr?«
    »Sie wurde auf ein totes Maultier gebunden und ins Meer geworfen.«
    Erschrocken starrte Tascha die scheinbar so harmlose Lederhülle an. »Ich wusste doch, dass sie mich dort nicht leiden konnten«, sagte sie.
    Sie betraten den Steg, der über den alten Mühlenkanal führte. Hercól legte die geballte Faust an die Stirn, wie sie es auch schon auf anderen Brücken bei ihm gesehen hatte: ein tholjassanischer Brauch, hatte er ihr einmal erklärt, aber was er bedeutete, hatte er ihr nicht verraten.
    Nach ein paar Minuten brach es aus ihr heraus: »Und was soll ich jetzt mit dem schrecklichen Ding anfangen?«
    Hercól zuckte die Achseln. »Verbrenne es. Oder lies es, lerne daraus und lebe mit der Gefahr, die sein Besitz mit sich bringt. Du kannst es auch den Behörden übergeben und damit die Mutter Prohibitor zum Tod verurteilen.«
    »Du bist mir eine große Hilfe.«
    »Moralische Entscheidungen schlagen nicht in mein Fach.«
    Taschas Miene hellte sich unvermittelt auf. »Hercól! Wann können wir den Kampfunterricht wiederaufnehmen?«
    Hercól erwiderte ihr Lächeln nicht. »So bald leider noch nicht. Zurzeit tut sich allerlei in der Stadt, und ich bin daran beteiligt, ob ich will oder nicht. Tatsächlich muss ich dich schon in wenigen Minuten verlassen, und vorher habe ich dir etwas zu sagen. Etwas, das du am besten deinem Vater weitererzählen solltest, und zwar bald.«
    Er führte sie in ein dunkles Tannenwäldchen etwas abseits vom Fluss. An einem großen Baum blieb er stehen, ging in die Hocke und bedeutete ihr, das Gleiche zu tun.
    »Deine Familie wird überwacht, Tascha«, flüsterte er. »Der Admiral, die Lady, Nama und die anderen Dienstboten – und jetzt auch du. Irgendwie hat man erfahren, dass du heute Abend das Lorg verlassen würdest. Wenn dein unbedachter Sprung in diesen Park etwas Gutes hatte, dann das, dass du deinen Verfolger abschütteln konntest. Mich hättest du jedenfalls beinahe verloren.«
    »Überwacht? Wir? Warum?« Tascha war sprachlos. »Hat es mit dem Botschafterposten zu tun, den die Schwester an der Pforte erwähnte?«
    Hercól schüttelte den Kopf. »Ich kann darüber nicht spekulieren. Und je weniger Menschen du auf den Auftrag deines Vaters ansprichst,

Weitere Kostenlose Bücher