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Windkämpfer

Windkämpfer

Titel: Windkämpfer Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Robert Redick
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Gefühl, soeben in die Augen zweier unsichtbarer Wesen geschaut zu haben.
    Neeps stieß ihn warnend mit dem Ellbogen an. Pazel riss sich los und sah zu Uskins hinüber. Sofort wurde das Zwiegespräch wieder aufgenommen.
    »Ich will in der Hölle braten! Er kann uns hören!«
    »Unmöglich! Unmöglich!«
    »Doch! Sieh ihn nur an!«
    »Eine Missgeburt, ein Monstrum! Taliktrum, wir müssen …«
    Uskins räusperte sich. Er schaute Pazel unverwandt an.
    »Was zum Teufel ist denn mit dir los?«, fragte der Erste Maat.
    Jetzt waren alle Blicke auf Pazel gerichtet.
    »N-n-nichts, Mr. Uskins. Sir!«
    Uskins’ Augen wurden schmal. Er nahm die Schultern zurück. »Du bist der Ormalier«, sagte er. »Pathkendle.«
    »Ganz recht, Sir.«
    »Du brauchst mir nicht zu bestätigen, dass ich Recht habe!«, dröhnte Uskins so laut, dass sich auf dem Oberdeck alle Köpfe drehten.
    »Bitte um Vergebung, Sir.«
    »Kein Teerjunge erdreistet sich, die Aussage eines Offiziers zu bestätigen! Wenn das Wort des Offiziers bezweifelt wird, was gilt dann das Wort des Teerjungen? Natürlich gar nichts! Ist es nicht so, Pathkendle?«
    »I … äh … ja, jawohl, Sir.«
    »Du zögerst? Warum?«
    »Verzeihung, Sir. Sie haben mir soeben verboten, Ihre Aussagen zu bestätigen.«
    »Schweig! Schweig! Hafenbengel! Du wagst es, dich über mich lustig zu machen? Du gehst jetzt und entleerst deine Blase, man sieht ja, dass du es kaum noch aushältst, und dann holst du Seifenlauge und schrubbst die Latrinen, bis sie blitzen! Und wenn du dich darin spiegeln kannst, dann schätze dich glücklich, dass du nicht ausgepeitscht wirst, du elender, neunmalkluger, rothäutiger Zwerg! Alle anderen sind entlassen!«
    Mit ›Latrinen‹ meinte Uskins die Mannschaftstoiletten, die auf allen Segelschiffen möglichst weit vorne untergebracht sind, damit der Wind, der immer etwas schneller ist als das Schiff selbst, den Gestank wegträgt. Auf der Chathrand gab es erstaunlich viele davon, zwei Reihen mit jeweils acht Plätzen. Pazel war immer noch mit einer langen Bürste und Seifenlauge zugange, als der Befehl ›Leinen los‹ ertönte, alle Matrosen auf ihre Plätze eilten und die Flaggen bis zu den Mastspitzen gehisst wurden. Nicht gerade der glorreiche Moment, von dem Pazel in jener ersten Nacht auf der Eniel geträumt hatte. Trotzdem hatte er das Gefühl, mit Uskins’ Fehleinschätzung noch gut gefahren zu sein: Es war besser, für blasenschwach gehalten zu werden, als für schwach im Kopf. Oder für krampfanfällig oder besessen.
    Natürlich traf auf ihn nichts von alledem zu. Sobald die Angst gewichen war, hatte er sofort begriffen, was tatsächlich vorging. Im Kugelbackschacht hatte sich tatsächlich jemand versteckt. Sogar zwei Personen, und die hatten ihn fasziniert beobachtet. Pazel hatte auch einen Verdacht, um was für Personen es sich handelte. Die Frage war nur, was sie von ihm wollten.
    Als er die unappetitliche Arbeit endlich erledigt hatte und auf das Vordeck hinaustrat, kam Fiffengurt rückwärts auf ihn zu. Er hatte den Kopf weit in den Nacken gelegt und schaute zu den Quersalingen hinauf.
    »Pathkendle!«, sagte er. »Schon jetzt zum Latrinenreinigen verdonnert? Wie kommt das?«
    »Ich … ich weiß es ehrlich nicht, Sir«, sagte Pazel. »Mr. Uskins hat uns verboten, seine Aussagen zu bestätigen. Ich wollte ja gehorchen, aber irgendwie habe ich es verbockt.«
    Fiffengurt musterte ihn (jedenfalls mit einem Auge), dann nickte er bedächtig. »Wie ich befürchtet hatte. Der geborene Verbrecher.«
    »Sir?«
    »Schon gut, Mr. Pathkendle. Kommen Sie mit. Sie werden von mir noch einmal bestraft.«
    Er führte Pazel über das eigentlich verbotene Vordeck. Der Junge überlegte, dass er sich, falls er es überhaupt wagte, einem Offizier von den Stimmen zu erzählen, am ehesten noch Fiffengurt anvertrauen würde. Er hatte sich schon fast dazu entschlossen, als der Quartiermeister sich umdrehte.
    »Hast du Matrosenhände, Bursche? Und macht dir eine Mütze voll Wind nichts aus?«
    »Sicher doch, Sir!«
    »Dann kletterst du jetzt hinaus auf den Klüverbaum und sorgst dafür, dass das Antlitz der Gnädigen nicht von Schnecken oder Seepocken verunstaltet wird. Du kannst sie mit deinem Messer lösen – hast du kein Messer?«
    »Es wurde mir gestohlen, Sir.«
    »Dann nimm vorerst das meine, aber lass es ja nicht fallen! Und geh um Himmels willen behutsam mit dem alten Mädchen um! Sie könnte deine Großmutter sein!« Er lächelte und senkte die Stimme. »Lass dir

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