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Windkämpfer

Windkämpfer

Titel: Windkämpfer Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Robert Redick
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hielt an, und wenn hin und wieder ein Matrose leise über die neuen Teerjungen fluchte, die überall im Wege waren, wusste Pazel, dass seine Gabe ihm die Übersetzung lieferte.
    Am Abend kam es zu einem Vorfall, der seine alte Angst vor dem Wahnsinn wiederaufleben ließ. Die Jungen standen auf dem Oberdeck, Mitte achtern, und hörten sich den lauten und ziemlich unheimlichen Vortrag des Ersten Maats Uskins über die Fünf Zonen an, wie er sie nannte. Die Predigt lief offenbar darauf hinaus, dass man umso mehr Bereiche des Schiffes ohne Befehl oder ausdrückliche Erlaubnis betreten durfte, je höher man im Rang stand. Der Kapitän war der einzige ›Fünf-Zonen-Mann‹ an Bord: Er konnte sich natürlich überall aufhalten; aber niemand, nicht einmal der Erste Maat (hier beugte Uskins sich vor und schlug sich an die eigene Brust) durfte unaufgefordert die Kapitänskabine betreten. Stellt euch das vor, ihr Burschen! Und er, Uskins, war immerhin ein Vier-Zonen-Mann!
    Die dramatische Rede schleppte sich weiter zum Finale, dem unvermeidlichen (und von Uskins offenbar sehnlich erwarteten) Hinweis auf die allerunterste Rangstufe der Teerjungen selbst. Doch während sich der Offizier mit viel Geschnaube und Getöse dorthin vorarbeitete, hörte Pazel einen der Jungen links von sich etwas flüstern, so als wäre Uskins gar nicht da. Das war höchst ungewöhnlich. Da macht jemand gerade einen gewaltigen Fehler, dachte Pazel.
    Als Uskins sich abwandte, um auf das Vordeck zu zeigen, wagte Pazel einen Blick nach links. Doch da stand niemand. Rasch richtete er die Augen wieder nach vorn. Merkwürdig! Er hatte die Stimme ganz deutlich gehört.
    Gleich darauf ließ sie sich wieder vernehmen, diesmal lauter. »Das Essen war gut heute. Hammelpastete zum Frühstück.«
    Eindeutig von links. Doch bevor Pazel noch einmal hinsehen konnte, antwortete eine zweite Stimme. Sie war tiefer und triefte von bitterem Hohn.
    »Gewiss doch. Und sie werden so lange gut essen, bis die Brücke abgebaut wird. Man will schließlich nicht, dass die Jungen schon vor Antritt der Fahrt die Flucht ergreifen.«
    Träumte er? Keine Menschenseele war zu sehen: nur das leere Deck und ein Gitter über der Kugelbackluke, dem kleinen Schacht, durch den die Kanonenkugeln zu den vorderen Geschützen befördert wurden. Pazel schaute Neeps an, der erwiderte zwar seinen Blick, aber ohne Verständnis. Neeps hatte offensichtlich nichts gehört.
    »Siehst du seine Haltung? Den hoch erhobenen Kopf, die Hände hinter dem Rücken? Der Junge ist zur Schule gegangen.«
    Pazel stutzte. Er hatte die Hände hinter dem Rücken verschränkt.
    »Von den Keppery-Inseln?«, fragte die erste Stimme.
    »Die Hautfarbe passt nicht. So braun wird man nicht von der Sonne allein.«
    Pazel warf unwillkürlich einen Blick auf seine dunklen Füße.
    »Zappelt andauernd herum. Der Junge wird immer auffallen, Taliktrum.«
    »Gerade eben stand er noch ganz ruhig.«
    Das war kein Traum, er hatte nur den Verstand verloren. Die Stimmen drangen durch das Gitter. Pazel schielte hinüber, sooft ihm Uskins Gelegenheit dazu gab. Der Schacht maß etwa zwei Fuß im Quadrat. Dass ein Mensch darin stecken sollte, war lächerlich. Dass es zwei sein sollten, war schlechterdings unmöglich.
    Dann sagte die Stimme: »Ormael.«
    Pazel verschlug es den Atem. Er war seit Jahren gewöhnt, seine Gefühle vor Menschen zu verbergen, die ihm gefährlich werden konnten, aber was hier geschah, traf ihn völlig unvorbereitet. Die Stimmen redeten über ihn!
    »Ormael! Genau! Bei Rins Augen, ein Junge aus dem Trutzbund von Chereste! Er muss sie doch alle hassen bis aufs Blut. Gib ihm ein Streichholz, und er brennt den Kahn bis zur Wasserlinie ab.«
    »Das bleibt abzuwarten, Ludunte. Aber was hat er denn jetzt? Sieht so aus, als würde ihm gleich übel.«
    »Wäre schon Pech, wenn er jetzt umfiele, genau vor …«
    »Still!«
    Pazel zitterte. Zum Glück war Uskins so hingerissen von seinem eigenen Schlusswort, dass er ihm keine Be achtung schenkte. »Es ist verboten, die Leiter zum Achterdeck zu berühren. Es ist verboten, eine gesicherte Luke zu öffnen. Es ist verboten, ein Backstag oder ein Fockstag zu berühren, sich gegen einen Mast zu lehnen und sich in der Kombüse herumzudrücken. Die Strafe …«
    »Hast du deine Stimme gebeugt?«
    »Natürlich nicht.«
    Pazel ertrug es nicht länger. Er richtete den Blick gezielt auf das Gitter, und die Stimmen verstummten. Sehen konnte er nichts, dennoch hatte er das unheimliche

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