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Winesburg, Ohio (German Edition)

Winesburg, Ohio (German Edition)

Titel: Winesburg, Ohio (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Sherwood Anderson
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erhoben hat, so wird er auch euch erheben. Verzweifelt nicht. In eurer Stunde der Sünde hebt den Blick gen Himmel, und ihr werdet immer wieder gerettet werden.»
    Entschlossen verbannte der Pfarrer die Gedanken an die Frau im Bett aus seinem Geist und wurde in Gegenwart seiner Frau zu so etwas wie einem Liebhaber. Eines Abends, als sie gemeinsam ausfuhren, lenkte er das Pferd von der Buckeye Street in das Dunkel auf Gospel Hill oberhalb des Teichs vom Wasserwerk und legte Sarah Hartman den Arm um die Taille. Als er am Morgen gefrühstückt hatte und bereit war, sich in sein Studierzimmer im rückwärtigen Teil des Hauses zurückzuziehen, ging er um den Tisch herum und küsste seine Frau auf die Wange. Kamen ihm Gedanken an Kate Swift in den Sinn, lächelte er und hob den Blick gen Himmel. «Schreite für mich ein, Herr», murmelte er. «Lass mich auf dem schmalen Pfad bleiben und auf Dein Werk bedacht.»
    Und nun begann der wahre Kampf in der Seele des braunbärtigen Pfarrers. Zufällig entdeckte er, dass Kate Swift die Gewohnheit hatte, abends im Bett ein Buch zu lesen. Auf einem Tischchen neben ihrem Bett
stand eine Lampe, und das Licht floss auf ihre weißen Schultern und den bloßen Hals. An dem Abend, als er diese Entdeckung machte, saß der Pfarrer von neun bis nach elf Uhr im Studierzimmer am Schreibtisch, und als ihr Licht gelöscht wurde, stolperte er aus der Kirche, um über zwei Stunden betend durch die Straßen zu gehen. Er wollte die Schultern und den Hals Kate Swifts nicht küssen und hatte sich auch nicht gestattet, bei solchen Gedanken zu verweilen. Er wusste nicht, was er wollte. «Ich bin ein Kind Gottes, er muss mich vor mir selbst retten», rief er in dem Dunkel unter den Bäumen, wie er durch die Straßen ging. An einem Baum blieb er stehen und blickte zum Himmel hinauf, an dem Wolken dahinjagten. Er sprach nun vertraut und innig mit Gott. «Bitte, Vater, vergiss mich nicht. Gib mir die Kraft, morgen hinzugehen und das Loch in dem Fenster zu reparieren. Hebe meinen Blick erneut gen Himmel. Bleib bei mir, Deinem Diener, in seiner Stunde der Not.»
    Die stillen Straßen auf und ab lief der Pfarrer, und über Tage und Wochen war seine Seele aufgewühlt. Er begriff die Versuchung, die über ihn gekommen war, ebenso wenig wie den Grund, warum sie es getan hatte. In gewisser Weise beschuldigte er zunehmend Gott, indem er bei sich sagte, er habe sich bemüht, die Füße auf dem rechten Pfad zu halten, und sei nicht herumgelaufen, um die Sünde zu suchen. «Meine Tage als junger Mann und mein ganzes Leben hier bin ich ruhig meiner Arbeit nachgegangen», erklärte er. «Warum sollte ich jetzt versucht werden? Was habe ich getan, dass mir diese Last auferlegt wird?»
    Dreimal im Frühherbst und Winter jenes Jahres schlich Curtis Hartman sich aus dem Haus in den Raum im Glockenturm, um im Dunkeln Kate Swifts Gestalt im Bett zu betrachten, und ging danach auf die Straße und betete. Er verstand sich selbst nicht. Wochenlang dachte er kaum einmal an die Lehrerin und sagte sich dabei, er habe die fleischliche Lust, ihren Körper zu betrachten, überwunden. Und dann geschah es wieder. Als er im Arbeitszimmer seines Hauses saß und hart an einer Predigt arbeitete, wurde er nervös und begann, im Zimmer auf und ab zu laufen. «Ich gehe jetzt auf die Straße», sagte er bei sich, und noch als er die Kirchentür aufschloss, belog er sich hartnäckig darüber, warum er dort war. «Ich werde das Loch im Fenster nicht reparieren, und ich werde mich darin üben, des Nachts hierherzukommen und in Gegenwart dieser Frau dazusitzen, ohne den Blick zu heben. Ich werde mich in dieser Sache nicht geschlagen geben. Der Herr hat diese Versuchung als Prüfung meiner Seele ersonnen, und ich werde mich aus der Finsternis hinaus ins Licht der Rechtschaffenheit tasten.»
    In einer Nacht im Januar, es war bitterkalt und auf den Straßen Winesburgs lag tiefer Schnee, stattete Curtis Hartman dem Raum im Glockenturm der Kirche einen letzten Besuch ab. Es war nach neun Uhr, als er sein Haus verließ, und er tat dies in solcher Eile, dass er vergaß, seine Überschuhe anzuziehen. Auf der Main Street war niemand bis auf Hop Higgins, den Nachtwächter, und in der ganzen Stadt war niemand wach bis auf den Nachtwächter und den jungen George Willard, der in seinem Büro im «Winesburg Eagle» saß
und versuchte, eine Geschichte zu schreiben. Die Straße entlang zur Kirche ging der Pfarrer, pflügte durch die Schneewehen und dachte, diesmal

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