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Winesburg, Ohio (German Edition)

Winesburg, Ohio (German Edition)

Titel: Winesburg, Ohio (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Sherwood Anderson
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Du darfst nicht einfach nur ein Wörterkrämer werden. Es geht darum, zu erkennen, was die Menschen denken, nicht, was sie sagen.»
    Am Abend vor der stürmischen Donnerstagnacht, als Pfarrer Curtis Hartman im Glockenturm der Kirche saß und darauf wartete, ihren Körper betrachten zu können, hatte der junge Willard die Lehrerin besucht, um ein Buch auszuleihen. Und da war dann die Sache geschehen, die den Jungen verwirrt und verblüfft hatte. Er hatte schon das Buch unterm Arm und stand im Begriff zu gehen. Wieder sprach Kate Swift mit großem Ernst. Die Nacht brach herein, und das Licht im Zimmer wurde matt. Als er sich zum Gehen wandte, sagte sie leise seinen Namen und ergriff mit einer impulsiven Bewegung seine Hand. Der Reporter wurde rasch zum Mann, und so rührte etwas von seinem männlichen Reiz, verbunden mit der Fröhlichkeit des Jungen, die einsame Frau ans Herz. Der leidenschaftliche Wunsch überfiel sie, dass er die Tragweite des Lebens verstehe, dass er lerne, es wahrhaft und ehrlich zu interpretieren. Sie beugte sich vor, und ihre Lippen streiften seine Wangen. Im selben Moment wurde er zum ersten Mal der auffallenden Schönheit ihrer Züge gewahr. Sie waren beide verlegen, und um ihr Gefühl zu lindern, wurde sie harsch und dominant. «Was soll’s? Es wird noch zehn Jahre dauern, bis du
verstehst, was ich meine, wenn ich mit dir spreche», rief sie leidenschaftlich aus.
     
    In der Nacht des Sturms und während der Pfarrer in der Kirche saß und auf sie wartete, ging Kate Swift in die Redaktion des «Winesburg Eagle» , um noch einmal mit dem Jungen zu sprechen. Nach dem langen Spaziergang im Schnee war sie durchgefroren, einsam und müde. Als sie durch die Main Street kam, sah sie das Licht aus dem Druckereifenster im Schnee, und aus einem Impuls heraus öffnete sie die Tür und ging hinein. Eine Stunde lang saß sie am Ofen in der Redaktion und redete über das Leben. Sie sprach mit leidenschaftlichem Ernst. Der Impuls, der sie in den Schnee hinausgetrieben hatte, ergoss sich nun in ihre Rede. Sie begeisterte sich wie manchmal vor den Kindern in der Schule. Das unbändige Verlangen packte sie, dem Jungen, der ihr Schüler gewesen war und der ihrer Meinung nach möglicherweise das Talent zum Verständnis des Lebens hatte, das Tor zu diesem Leben zu öffnen. So stark war ihre Leidenschaft, dass sie zu etwas Körperlichem wurde. Erneut ergriffen ihre Hände seine Schultern, und sie drehte ihn zu sich her. In dem matten Licht loderten ihre Augen. Sie erhob sich und lachte, nicht schneidend wie sonst bei ihr üblich, sondern seltsam zögerlich. «Ich muss weiter», sagte sie. «Wenn ich einen Augenblick länger bleibe, möchte ich dich vielleicht gar noch küssen.»
    In der Zeitungsredaktion entstand Verwirrung. Kate Swift ging zur Tür. Sie war Lehrerin, aber sie war auch eine Frau. Als sie George Willard ansah, ergriff das
leidenschaftliche Verlangen, von einem Mann geliebt zu werden, das zuvor schon tausendmal gleich einem Sturm über ihren Körper hinweggefegt war, Besitz von ihr. Im Schein der Lampe sah George Willard nicht mehr wie ein Knabe aus, sondern wie ein Mann, der bereit war, die Rolle des Mannes anzunehmen.
    Die Lehrerin ließ sich von George Willard in die Arme schließen. In dem warmen kleinen Büro wurde die Luft plötzlich schwer, und ihren Körper verließen die Kräfte. An einen niedrigen Tresen bei der Tür gelehnt, stand sie wartend da. Als er kam und ihr eine Hand auf die Schulter legte, drehte sie sich um und ließ ihren Körper schwer gegen seinen sinken. Sofort wuchs bei George Willard die Verwirrung. Einen Augenblick lang hielt er den Körper der Frau fest an sich gedrückt, dann erstarrte er. Zwei kleine Fäuste schlugen ungestüm auf sein Gesicht ein. Als die Lehrerin davongerannt war und ihn allein zurückgelassen hatte, ging er, wild fluchend, im Büro auf und ab.
    In diese Verwirrung hinein platzte Pfarrer Curtis Hartman. Als er eintrat, glaubte George Willard, die ganze Stadt sei verrückt geworden. Mit einer blutenden Faust fuchtelnd erklärte der Pfarrer die Frau, die George eben noch in den Armen gehalten hatte, zu einem Werkzeug Gottes, dem eine Botschaft der Wahrheit innewohne.
     
    George blies die Lampe am Fenster aus, verschloss die Tür zur Druckerei und ging nach Hause. Er ging durch das Hotelbüro, vorbei an Hop Higgins, der in seinem Traum vom Frettchenzüchten versunken war,
und nach oben auf sein Zimmer. Das Feuer im Ofen war ausgegangen, und so

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