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Winesburg, Ohio (German Edition)

Winesburg, Ohio (German Edition)

Titel: Winesburg, Ohio (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Sherwood Anderson
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für ihn Brüder und Schwestern sein müssten, und er wünschte, er hätte den Mut, sie aus ihren Häusern herauszurufen und ihnen die Hand zu schütteln. «Wäre hier nur eine Frau, ich würde sie an der Hand nehmen, und dann würden wir rennen, bis wir müde wären», dachte er. «Danach ginge es mir besser.» Mit dem Gedanken an eine Frau im Kopf verließ er die Straße und ging zu dem Haus, in dem Belle Carpenter lebte. Er dachte, sie würde seine Stimmung verstehen und dass er bei ihr in eine Lage käme, in die er schon lange kommen wollte. War er früher mit ihr zusammen gewesen und hatte sie auf den Mund geküsst, dann war er hinterher wütend auf sich gewesen. Er war sich vorgekommen wie einer, der zu irgendeinem obskuren Zweck benutzt wurde,
und dieses Gefühl hatte ihm nicht gefallen. Nun dachte er, er sei mit einem Mal zu groß geworden, um benutzt zu werden.
    Als George Belle Carpenters Haus erreichte, war schon ein Besucher da gewesen. Ed Handby war an die Tür gekommen, hatte Belle aus dem Haus gerufen und versucht, mit ihr zu reden. Er hatte die Frau fragen wollen, ob sie mit ihm komme und seine Frau werden wolle, doch als sie dann an der Tür stand, verließ ihn sein Selbstbewusstsein, und er wurde mürrisch. «Halt dich von diesem Jungen fern», knurrte er, wobei er an George Willard dachte, dann wusste er nichts mehr zu sagen und wandte sich zum Gehen. «Wenn ich dich mit ihm erwische, breche ich ihm alle Knochen und dir auch», setzte er hinzu. Der Barmann war als Werbender gekommen, nicht, um zu drohen, und war wütend auf sich, weil es ihm misslungen war.
    Nachdem ihr Liebhaber weg war, trat Belle ins Haus und eilte die Treppe hinauf. Von einem Fenster im oberen Teil des Hauses sah sie Ed Handby die Straße überqueren und sich vor einem Nachbarhaus auf einen Aufsteigeblock 15 setzen. Im matten Licht saß der Mann reglos da, den Kopf in den Händen. Der Anblick machte sie froh, und als George Willard an die Tür kam, begrüßte sie ihn überschwänglich und setzte rasch ihren Hut auf. Sie dachte, wenn sie mit dem jungen Willard durch die Straßen ginge, würde Ed Handby ihnen folgen, und sie wollte, dass er litt.
    Eine Stunde lang spazierten Belle Carpenter und der junge Reporter unter den Bäumen in der reinen Nachtluft umher. George Willard war erfüllt von großen
Worten. Das Gefühl der Macht, das ihn während der Stunde im Dunkel der Gasse überfallen hatte, blieb ihm erhalten, und er redete kühn, stolzierte dahin und schwang die Arme. Er wollte Belle Carpenter vermitteln, dass er sich seiner vormaligen Schwäche bewusst sei und sich geändert habe. «Du wirst feststellen, dass ich anders geworden bin», verkündete er, steckte die Hände in die Taschen und sah ihr kühn in die Augen. «Warum, weiß ich nicht, aber es ist so. Du musst mich als Mann betrachten oder mich in Ruhe lassen. So ist das.»
    Die stillen Straßen unter dem Neumond auf und ab spazierten die Frau und der Junge. Als George zu Ende geredet hatte, bogen sie in eine Nebenstraße, überquerten eine Brücke und schritten auf einem Weg, der einen Hügel hinaufführte. Der Hügel begann am Teich des Wasserwerks und zog sich hinauf bis zum Winesburger Festplatz. Am Hang wuchsen dichtes Buschwerk und kleine Bäume, und zwischen den Büschen waren kleine Freiflächen, mit hohem Gras überzogen, das jetzt steif gefroren war.
    Als er hinter der Frau her den Hügel hinaufging, schlug George Willards Herz schnell, und seine Schultern strafften sich. Auf einmal meinte er, dass Belle Carpenter im Begriff stand, sich ihm hinzugeben. Die neue Kraft, die sich in ihm offenbarte, hatte, wie er glaubte, an ihr gearbeitet und zu ihrer Eroberung geführt. Diese Vorstellung machte ihn fast trunken von maskuliner Macht. Obwohl er sich geärgert hatte, dass sie auf ihrem Gang seinen Worten offenbar nicht zuhörte, nahm ihm doch der Umstand, dass sie ihn
bis hierher begleitet hatte, alle Zweifel. «Es ist anders. Alles ist anders geworden», dachte er, und er fasste sie an der Schulter, drehte sie zu sich und schaute sie an, und seine Augen leuchteten vor Stolz.
    Belle Carpenter wehrte sich nicht. Als er sie auf den Mund küsste, lehnte sie sich schwer gegen ihn und blickte über seine Schulter ins Dunkel. In ihrer ganzen Haltung lag etwas Abwartendes. Erneut, wie schon in der Gasse, mündeten George Willards Gedanken in Worte, und während er die Frau fest an sich gedrückt hielt, flüsterte er die Worte in die stille Nacht. «Lust»,

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