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Winesburg, Ohio (German Edition)

Winesburg, Ohio (German Edition)

Titel: Winesburg, Ohio (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Sherwood Anderson
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flüsterte er, «Lust und Nacht und Frauen.»
    George Willard begriff nicht, was mit ihm in jener Nacht auf dem Hügel geschah. Später, als er wieder auf seinem Zimmer war, wollte er weinen, und dann wurde er halb wahnsinnig vor Zorn und Hass. Er hasste Belle Carpenter und war sich sicher, dass er sie sein ganzes Leben weiter hassen würde. Auf dem Hügel hatte er die Frau zu einer der Freiflächen zwischen den Büschen geführt und war neben ihr auf die Knie gefallen. Wie auf dem leeren Grundstück bei den Häusern der Tagelöhner hatte er vor lauter Dankbarkeit für die neue Kraft in ihm die Hände erhoben und darauf gewartet, dass die Frau etwas sagte, als Ed Handby erschien.
    Der Barmann wollte den Jungen, von dem er annahm, dass er versucht habe, ihm seine Frau wegzunehmen, nicht verprügeln. Er wusste, dass Prügel unnötig waren, dass er über die Macht verfügte, seine Zwecke auch ohne den Einsatz seiner Fäuste zu erreichen. Er packte George an der Schulter und zog ihn hoch, hielt ihn mit einer Hand fest und sah Belle Carpenter an, die
im Gras saß. Mit einer raschen, weiten Armbewegung schleuderte er den jüngeren Mann in ein Gebüsch und bedrängte dann die Frau, die inzwischen aufgestanden war. «Du taugst nichts», sagte er grob. «Ich hätte gute Lust, mich nicht mehr mit dir abzugeben. Ich würde dich in Ruhe lassen, wenn ich dich nur nicht so sehr wollte.»
    Auf Händen und Knien starrte George Willard im Gebüsch auf die Szenerie und mühte sich um einen klaren Gedanken. Er machte sich bereit, sich auf den Mann zu stürzen, der ihn gedemütigt hatte. Verprügelt zu werden erschien ihm unendlich viel besser, als derart schändlich weggeschleudert zu werden.
    Dreimal stürzte sich der junge Reporter auf Ed Handby, und jedes Mal packte der Barmann ihn an den Schultern und schleuderte ihn ins Gebüsch zurück. Der Ältere schien bereit, diese Übung unendlich lange fortzusetzen, doch George Willard schlug mit dem Kopf gegen eine Baumwurzel und blieb reglos liegen. Daraufhin nahm Ed Handby Belle Carpenter am Arm und zerrte sie weg.
    George hörte, wie der Mann und die Frau sich durch die Büsche entfernten. Wie er den Hügel hinabkroch, war ihm das Herz krank. Er hasste sich, und er hasste das Schicksal, das seine Demütigung herbeigeführt hatte. Als er in Gedanken zu der Stunde zurückkehrte, da er allein in der Gasse war, stand er verblüfft im Dunkel und horchte voller Hoffnung, erneut die Stimme außerhalb von ihm zu hören, die seinem Herzen noch vor so Kurzem neuen Mut eingeflößt hatte. Als sein Heimweg ihn noch einmal in die Straße mit den
Holzhäusern führte, konnte er deren Anblick nicht ertragen und rannte, denn er wollte rasch aus dem Viertel weg, das ihm nun als zutiefst verkommen und gewöhnlich erschien.

«WUNDERLICH»
    Von seinem Platz auf einer Kiste in dem groben Bretterschuppen, der wie eine Klette an der Rückseite des Geschäfts von Cowley & Son in Winesburg klebte, konnte Elmer Cowley, der Juniorchef der Firma, durch ein schmutziges Fenster in die Druckerei des «Winesburg Eagle» blicken. Elmer fädelte neue Schnürsenkel in seine Schuhe. Sie gingen nicht gut hinein, weswegen er die Schuhe ausziehen musste. Die Schuhe in der Hand saß er da und betrachtete ein großes Loch in der Ferse eines Strumpfs. Als er dann rasch wieder aufschaute, sah er George Willard, den einzigen Zeitungsreporter in Winesburg, am Hinterausgang der Druckerei des «Eagle» stehen und geistesabwesend um sich blicken. «Na, und was nun?», rief der junge Mann mit den Schuhen in der Hand aus, sprang auf und schlich vom Fenster weg.
    Eine Röte überzog Elmer Cowleys Gesicht, und ihm zitterten die Hände. Im Laden von Cowley & Son stand ein jüdischer Handelsvertreter und redete mit seinem Vater. Elmer stellte sich vor, der Reporter könnte hören, was gesagt wurde, und dieser Gedanke machte ihn wütend. Einen der Schuhe noch in der Hand, stand er in einer Ecke des Schuppens und stampfte mit dem bestrumpften Fuß auf den Bretterboden.
    Der Laden von Cowley & Son lag nicht an der Hauptstraße von Winesburg. Er ging vielmehr auf die Maumee Street, und dahinter waren Voights Wagengeschäft und ein Schuppen, der als Unterstand für Farmerpferde diente. Neben dem Geschäft führte eine Gasse hinter die Hauptstraßengeschäfte, und darauf fuhren den ganzen Tag Rollkarren und Lieferwagen zwecks Anlieferung und Abholung von Waren hin und her. Das Geschäft selbst war unbeschreiblich. Will Henderson sagte einmal,

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