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Winesburg, Ohio (German Edition)

Winesburg, Ohio (German Edition)

Titel: Winesburg, Ohio (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Sherwood Anderson
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jenem Teil des nördlichen Ohio, in dem Winesburg liegt, werden sich an den alten Windpeter
wegen dessen ungewöhnlichen und tragischen Todes erinnern. Eines Abends betrank er sich in der Stadt und machte sich dann auf dem Bahngleis auf die Heimfahrt nach Unionville. Henry Brattenburg, der Metzger, der in der Richtung wohnte, hielt ihn am Stadtrand an und sagte ihm, er werde bestimmt auf den Zug aus der Bezirkshauptstadt treffen, doch Windpeter schlug mit der Peitsche nach ihm und fuhr weiter. Der Zug erfasste und tötete ihn und seine beiden Pferde, und diesen Unfall sahen ein Farmer und seine Frau, die auf einer Straße in der Nähe heimwärts fuhren. Sie sagten, der alte Windpeter habe auf dem Wagensitz gestanden und die heranrasende Lokomotive beschimpft und mit Flüchen bedacht und habe richtiggehend gekreischt vor Vergnügen, als die Tiere, inzwischen ganz wild, weil er unaufhörlich auf sie einschlug, geradewegs in den sicheren Tod preschten. Jünglinge wie der junge George Willard und Seth Richmond werden sich noch recht lebhaft an den Unfall erinnern, weil sie, auch wenn jeder in unserer Stadt sagte, der Alte werde geradewegs zur Hölle fahren und die Gemeinde sei ohne ihn besser dran, insgeheim der Überzeugung waren, dass er wusste, was er tat, und seinen törichten Mut bewunderten. Die meisten Jungen erleben Zeiten, in denen sie sich einen ruhmreichen Tod wünschen, statt lediglich in einem Lebensmittelladen zu arbeiten und ihr eintöniges Leben fortzuführen.
    Aber dies ist nicht die Geschichte von Windpeter Winters und auch noch nicht die seines Sohnes Hal, der mit Ray Pearson auf der Wills-Farm arbeitete. Es ist Rays Geschichte. Allerdings wird es auch nötig sein,
ein wenig auf den jungen Hal zu sprechen zu kommen, damit Sie sich in die Geschichte einfühlen können.
    Hal war ein Schlimmer. Das sagte jeder. Es gab drei Winters-Jungen in der Familie, John, Hal und Edward, alles breitschultrige, kräftige Kerle wie der alte Windpeter selbst und alles Kämpfer und Schürzenjäger und überhaupt allgemein schlimm.
    Hal war der Schlimmste und hatte immer eine Schurkerei im Sinn. Einmal stahl er in der Mühle seines Vaters eine Ladung Bretter und verkaufte sie in Winesburg. Von dem Geld kaufte er sich billige, geschmacklose Kleider. Dann betrank er sich, und als sein Vater tobend in die Stadt kam, um ihn zu suchen, trafen sie sich auf der Main Street, wo sie mit Fäusten aufeinander losgingen, verhaftet und zusammen ins Gefängnis gesteckt wurden.
    Hal arbeitete auf der Wills-Farm, weil in der Gegend dort eine Dorfschullehrerin wohnte, die es ihm angetan hatte. Er war damals erst zweiundzwanzig, hatte aber schon zwei-, dreimal «Frauenärger» gehabt, wie man in Winesburg sagte. Jeder, der von seiner Vernarrtheit in die Lehrerin hörte, war überzeugt, es würde böse enden. «Er bringt sie nur in Schwierigkeiten, wirst sehen», hieß es allenthalben.
    Und so waren diese beiden Männer, Ray und Hal, eines Tages Ende Oktober auf dem Feld bei der Arbeit. Sie schälten Mais, und gelegentlich wurde etwas gesagt, worauf sie lachten. Dann trat Stille ein. Ray, der Empfindsamere und stets Achtsamere, hatte aufgesprungene Hände, die schmerzten. Er steckte sie in die Manteltaschen und schaute über die Felder. Er war
traurig und verstört, und die Schönheit des Landes berührte ihn. Würden Sie das Land um Winesburg im Herbst kennen und die niedrigen, allesamt mit Rot und Gelb besprengten Hügel, so würden Sie seine Empfindung verstehen. Er dachte zurück an die Zeit, als er ein junger Bursche war und bei seinem Vater wohnte, damals Bäcker in Winesburg, und wie er an solchen Tagen durch die Wälder streifte, um Nüsse zu sammeln oder Kaninchen zu jagen, oder einfach umherbummelte und sein Pfeifchen rauchte. Einem dieser Streifzüge hatte er seine Ehe zu verdanken. Er hatte ein Mädchen, das im Laden seines Vaters die Kundschaft bediente, überredet, mit ihm zu gehen, und da war dann etwas passiert. Er dachte an jenen Nachmittag und wie er sein ganzes Leben verändert hatte, als der Geist des Protests in ihm erwachte. Er hatte Hal ganz vergessen und murmelte vor sich hin. «Von Gott reingelegt, das war ich, vom Leben reingelegt und für dumm verkauft», sagte er leise.
    Als verstünde er seine Gedanken, meldete sich Hal Winters. «Und, war’s das wert? Was ist damit, hm? Was ist mit der Ehe und alldem? », fragte er und lachte dann. Hal versuchte, weiter zu lachen, doch auch er war ernster Stimmung. Er sprach

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