Winslow, Don
oder, wie es
das Gerücht will, weil er zu viel von seiner eigenen Ware raucht. Die Paranoia
jedenfalls ist unverkennbar.
Und hat gute Gründe, denkt Keller. Jetzt beobachtet er Tío schon drei Tage
in dieser Wohnung. Eine lange Zeit für seine Verhältnisse, deshalb wird er
heute Nachmittag vermutlich umziehen.
Oder glauben, dass er's tut.
Keller hat seine eigenen Vorstellungen von Tíos Umzug.
Aber die Sache muss richtig eingefädelt werden.
Die US-Regierung hat den Mexikanern versprochen, dass alles ohne Aufsehen
geschieht. Vor allem ohne Kollateralschäden. Und Keller soll so schnell wie
möglich verschwinden. Das Ganze soll aussehen wie ein mexikanischer Einsatz,
wie ein Triumph für die Federales.
Sollen sie haben, denkt Keller.
Mir ist es egal, Tío. Hauptsache, du endest im Gefängnis.
Er blickt noch einmal zu seinem Haus hinüber. Mein Lohn für die »Jahre in
der Wüste«, wie er die verfluchte Zeit von 1987 bis 1989 nennt, als er
sich durch das Minenfeld seiner Ermittlungen arbeitete, den Meineidsprozess
vorbereitete, der niemals kam, einen Präsidenten gehen und den Vizepräsidenten
- denselben, der den verdeckten Krieg gegen die Sandinisten geführt hatte -,
seine Nachfolge antreten sah. Meine Jahre in der Wüste, denkt er mit
Bitterkeit. Versetzt von einem Schreibtisch an den nächsten, bis seine Ehe
verkümmerte, sie sich in getrennte Schlafzimmer und getrennte Leben
zurückzogen, Althea schließlich die Scheidung einreichte - gegen seinen zähen
Widerstand.
Auch jetzt, denkt Keller, liegt ein frischer Satz von Scheidungspapieren
auf dem Küchentisch seiner kahlen Einzimmerwohnung im Zentrum von San Diego
und wartet auf seine Unterschrift.
»Niemals«, hat er seiner Frau versichert, »werde ich dir meine
Kinder überlassen.«
Schließlich kam der Frieden.
Für Nicaragua, nicht für die Kellers.
Es fanden Wahlen statt, die Sandinisten mussten gehen, der verdeckte Krieg
wurde eingestellt, und zirka fünf Minuten später stand Keller bei John Hobbs
auf der Matte und verlangte seinen Lohn.
Er wollte alle, die an der Ermordung von Ernie Hidalgo beteiligt waren.
Seine Liste: Ramón Mette, Quito
Fuentes, Doktor Alvarez, Gúero Méndez.
Raúl Barrera. Adán Barrera. Und Miguel Ángel Barrera. Tío.
Was immer Keller vom Präsidenten halten mochte: John Hobbs,
Colonel Craig und Sal Scachi standen zu ihrem Wort. Art Keller bekam freie Hand und alle denkbare Unterstützung zugesichert.
Und begann seinen Feldzug.
»Im Ergebnis«, hatte Hobbs geklagt, »haben wir eine toll gewordene Bürgerrechtsbewegung
und eine niedergebrannte Botschaft in Honduras, den Zusammenbruch der
diplomatischen Beziehungen zu Mexiko. Um die Metapher ein wenig zu strapazieren:
Das Außenministerium würde Sie liebend gern auf dem Scheiterhaufen verbrennen,
und das Justizministerium bringt die Marshmallows.«
»Aber ich darf mich doch darauf verlassen«, sagte Keller, »dass ich die
volle Unterstützung des Weißen Hauses und des Präsidenten habe.«
Womit er Hobbs diskret daran erinnerte, dass der gegenwärtige Präsident,
bevor er ins Weiße Haus einzog, die Contras mit Kokain finanziert hatte. Also bitte keine
hohlen Sprüche mehr über Außen- und Justizministerium.
Die Erpressung funktionierte, Keller bekam die Erlaubnis, sich Tío vorzuknöpfen -
doch auch nicht ohne weiteres.
Es gab Verhandlungen auf höchster Ebene, und Keller wurde nicht einmal
hinzugezogen.
Hobbs flog nach Los Pinos, der Residenz des mexikanischen Präsidenten, um
einen Deal auszuhandeln. Die Verhaftung von Miguel Ángel Barrera würde einen
Stolperstein auf dem Weg zur Unterzeichnung des Nordamerikanischen
Freihandelsabkommens NAFTA beseitigen.
NAFTA ist der
Schlüssel, die unabdingbare Voraussetzung für die Modernisierung Mexikos, für
den Schritt ins neue Jahrhundert. Ohne dieses Abkommen wird Mexiko stagnieren
und zusammenbrechen, es wird für immer ein Drittweltland bleiben und im Elend
versinken.
Die Mexikaner geben Barrera frei, damit die NAFTA- Verhandlungen
nicht behindert werden.
Aber nur unter einer Bedingung: Er soll der Letzte sein, der im Zusammenhang
mit dem Hidalgo-Mord ausgeliefert wird. Danach wird die Akte geschlossen. Art
Keller darf nicht einmal mehr das Land betreten. Er bekommt Barrera, aber nicht Adán und Raúl, auch nicht Gúero Méndez.
Ist okay, denkt Keller.
Ich hab schon einen Plan.
Aber erst ist Tío dran.
Jetzt sitzt er also hier und wartet.
Das Problem: Tío hat drei bis an die Zähne bewaffnete
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