Winslow, Don
Talavera Méndez. Zehn Kilo schwerer, phlegmatisch, fettiges Haar,
ein Gesicht, das zu viele carnitas davon entfernt ist, hübsch zu sein, doch es besteht eine vage Ähnlichkeit.
Dass Tío so versessen auf Pilar war, konnte ihm Adán nachfühlen -
was für eine Schönheit! -, aber das mit dieser segundera hier, das kann er nicht fassen. Besonders als das
Mädchen ihr feistes Gesicht zu einem Schmollmund verzieht und mault: »Immer redest du übers Geschäft!«
»Mach uns was zu essen«, sagt Adán.
»Ich kann nicht kochen!«, sagt sie patzig und watschelt hinaus. Wenig
später hören sie einen anderen Fernseher loslärmen, in einem anderen Zimmer.
»Sie muss ihre Seifenopern sehen«, erklärt Tío.
Adán hat sich bis
jetzt zurückgehalten, ist sitzen geblieben und hat seinen Onkel mit wachsender
Sorge beobachtet. Sein schlechter Zustand, seine Schwäche sind unverkennbar,
seine hartnäckigen Versuche, sich Ersatz für Pilar zu beschaffen, sind ein
Desaster. Tío Angel wird zusehends zur Witzfigur, und doch ist er der patrón der Federación.
Tío beugt sich vor
und flüstert: »Triffst du sie?«
»Wen, Tio?«
»Sie«, krächzt er. »Gúeros Frau. Pilar.«
Gúero hat Pilar geheiratet. Hat sich in sie verguckt, als sie nach ihrer
salvadorianischen »Hochzeitsreise« mit Tío aus dem Flugzeug stieg, und sie tatsächlich
geheiratet - ein Mädchen, das andere mexikanische Männer nicht einmal angerührt
hätten, weil sie keine Jungfrau mehr war. Und zudem war sie Barreras
Ansteckblume, seine segundera.
Umso mehr liebt Gúero jetzt Pilar Talavera.
»Si, Tio«, sagt Adán. »Ich treffe
sie.«
Tío nickt.
Vergewissert sich mit einem Blick in Richtung Wohnzimmer, ob das Mädchen vorm
Fernseher sitzt, und flüstert: »Ist sie noch schön?«
»Nein, Tio«, lügt Adán. »Jetzt ist sie hässlich und fett.«
Aber das stimmt nicht.
Sie ist, denkt Adán, überirdisch. Jeden Monat liefert er das Geld bei Méndez ab, und dann
sieht er sie. Inzwischen ist sie eine junge Mutter mit zwei kleinen Kindern.
Der Babyspeck ist verschwunden, sie ist zu einer wahren Schönheit gereift.
Und Tío trauert ihr noch immer nach.
Adán kommt wieder
zur Sache. »Was ist mit Keller?«
»Was soll mit ihm sein?«, fragt Tío.
»Er hat sich Mette geschnappt, in Honduras«, sagt Adán, »und er hat
Alvarez entführt. Hier in Guadalajara. Bist du der Nächste?«
Die Frage stellt sich wirklich, denkt Adán.
Tío zuckt die
Schultern. »Mette wurde zu selbstgefällig. Und Alvarez war leichtsinnig. Auf
mich trifft das nicht zu. Ich bin vorsichtig. Ich ziehe alle paar Tage um. Die
Polizei von Jalisco schützt mich. Außerdem habe ich Freunde.«
»Du meinst die CIA?«, fragt Adán. »Der Krieg gegen Nicaragua ist vorbei. Welchen
Nutzen hast du noch für die CIA?«
Denn Loyalität ist nicht die Stärke der Yankees, wie Adán weiß. Sie haben
ein kurzes Gedächtnis. Wer das nicht glaubt, kann Manuel Noriega aus Panama
fragen. Der war eine Schlüsselfigur von Kerberos gewesen, eine wichtige
Station des mexikanischen Trampolins, und wo steckt er jetzt? In einem amerikanischen
Gefängnis, genauso wie Mette und Alvarez, nur dass es nicht Art Keller war, der
ihn festgesetzt hat, sondern George Bush, Noriegas alter Freund aus besseren
Tagen. Ist in sein Land eingebrochen, hat ihn sich geholt.
Wenn du also auf die Loyalität der Amerikaner baust, Tío, hast du auf
Sand gebaut. Auf CNN habe ich Kellers Aussage gesehen. Sein Schweigen hat
einen Preis, und der Preis könntest du sein, der könnten wir alle sein.
»Mach dir keine Sorgen, Neffe«, sagt Tío. »Der Präsident
in Los Pinos steht auf unserer Seite.«
»Was macht dich so sicher?«, fragt Adán.
»Meine fünfundzwanzig Millionen Dollar. Und die andere Sache.«
Adán weiß, was die
andere Sache ist.
Dass die Federación den Wahlbetrug des Präsidenten unterstützt hat. Vor vier Jahren, 1988, schien es sicher, dass der linke Gegenkandidat Cárdenas die Wahl
gewinnen und die PRI, die seit der Revolution von 1917 an der Macht ist, vom Thron stürzen würde.
Doch es geschah etwas Seltsames.
Die Computer, die die Stimmen auszählen sollten, verweigerten auf
wundersame Weise ihren Dienst.
Im Fernsehen verkündete der Wahlleiter mit Bedauern, die Computer seien
zusammengebrochen, es werde mehrere Tage dauern, bis die Stimmen ausgezählt
wären und der Wahlsieger ermittelt sei. Und im Verlauf dieser Tage wurden die
beiden Wahlbeobachter der Oppositionspartei - zwei Männer, die wussten, dass
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