Winslow, Don
Syphilitikern,
versoffenen Schwuchteln teilen will), überschwemmte das Wasser immer den alten
fleckigen Kachelboden. Oder spritzte durch den kaputten Duschvorhang mit dem
verblassten Blümchenmuster. Jetzt duscht er nicht mehr so oft, es ist viel zu
anstrengend, und das Shampoo ist fast alle, der Rest klebt am Boden der
Flasche und will nicht rauskommen - und rübergehen in den Drugstore macht ihm
zu viel Mühe. All die Leute nerven ihn, all die Zivilisten zumindest.
Ein dünner Seifenrest hat sich auf dem Boden der Dusche gehalten, ein
ausgetrocknetes, streng riechendes Stück Desinfektionsseife liegt neben dem
dünnen Hotelhandtuch auf dem Waschbeckenrand.
Er spritzt sich ein bisschen Wasser ins Gesicht.
In den Spiegel schaut er nicht, aber der Spiegel schaut zurück.
Sein Gesicht ist verquollen und fahl, sein schulterlanges Haar strähnig
und fettig, sein Bart wird langsam zur Matte.
Ich sehe schon aus wie die Säufer und Junkies vom Lamp District, denkt
er. Was bin ich denn anderes? Nur dass ich mir jederzeit Geld aus dem Bankomat
holen kann.
Er putzt sich die Zähne.
Wenigstens das. Sonst muss er gleich wieder kotzen von dem ekligen
Geschmack im Mund. Also putzt er sich die Zähne und pisst. Anziehen muss er
sich nicht - er hat noch die Sachen an, in denen er eingepennt ist, schwarze
Jeans, schwarzes T-Shirt. Aber Schuhe muss er anziehen, das heißt wieder zurück
aufs Bett, sich nach unten beugen, und als er seine Converse-Stiefel (ohne Socken)
endlich zugeschnürt hat, ist er fast schon wieder reif für ein Schläfchen.
Dabei ist es elf Uhr vormittags.
Zeit, in die Gänge zu kommen.
Sich einen Drink zu besorgen.
Er holt die 22er unterm Kissen
vor, steckt sie hinterm Rücken in den Hosenbund, lässt das lose und extraweite
T-Shirt drüberfallen, greift nach dem Schlüssel und geht hinaus.
Im Flur stinkt es.
Vor allem nach Lysol, das die Hotelbetreiber überall versprühen wie
Insektengift, um den Gestank nach Urin, Scheiße, Kotze und sterbenden alten
Männern zu übertünchen. Oder wenigstens die Keime abzutöten. Ein
hoffnungsloser Fall. So wie dieser ganze Laden, denkt Callan, als er den
Liftknopf drückt - ein hoffnungsloser Fall.
Deshalb bin ich
ja hier.
Um meinem
hoffnungslosen Fall ein Ende zu machen. Das Golden West Hotel. Ein echter
Scheißladen.
Die letzte Station vor dem Pappkarton auf der Straße oder der Pathologie.
Weil das Golden West Gutscheine nimmt, von der Wohlfahrt, vom Sozialamt,
vom Arbeitsamt, vom Gesundheitsamt - Gutscheine, die man abwohnen kann. Aber
wenn der Gutschein abgewohnt ist, heißt es: Sorry Jungs, jetzt müsst ihr auf
die Straße, auf die Pappe - oder gleich ins Kühlfach. Wohl denen, die in ihrem
Zimmer krepieren. Die haben ihre Ruhe, bis die Miete fällig ist oder bis der
Verwesungsgestank unter der Tür durchdringt und stärker wird als das Lysol, bis
sich der angewiderte Manager das Taschentuch vor die Nase presst und den
Generalschlüssel dreht. Dann folgt der Anruf, der Leichenwagen macht sich träge
auf den gewohnten Weg zum Hotel, und wieder tritt ein alter Saufsack seine
letzte Reise an.
Es wohnen nicht nur alte Saufsäcke im Golden West. Immer mal wieder
verirren sich europäische Touristen hierher, angelockt von den billigen
Zimmerpreisen im ansonsten teuren San Diego. Auch junge Amerikaner, die sich
für den neuen Jack Kerouac oder Tom Waits halten, fühlen sich von dieser
abgefuckten Schäbigkeit angezogen - bis ihnen der Rucksack mit dem Discman und
dem ganzen Geld aus dem Zimmer geklaut wird oder bis ihnen ein alter Schwuler
im Waschraum an die Wäsche geht. Dann ruft der Möchtegern-Hippie bei Mama an, und
Mama gibt an der Rezeption ihre Kreditkartennummer durch, aber wenigstens hat
er ein Stück Amerika erlebt, das es anderswo nicht gibt.
Doch die meisten hier sind alte Säufer und Psychos, die in der Lobby vor
dem Fernsehen hocken wie eine Ansammlung von Krähen. Machen ihre Bemerkungen,
streiten sich um die Sender (es gab Messerstechereien, sogar Tote wegen
Rockford oder Gilligans Insel) oder murmeln ihre inneren Monologe zu Szenen,
die sich nur in ihrem Kopf abspielen.
Alles hoffnungslose Fälle. Callan muss hier nicht wohnen.
Er hat Geld, er könnte sich was Besseres leisten, aber er hat es so
gewollt.
Man kann es Buße nennen, Läuterung oder Fegefeuer - hier ist der Ort, wo
er seine Selbstbestrafung zelebriert, in aller Ausführlichkeit, wo er sich
langsam, aber sicher zu Tode säuft, nachts im Schlaf schreit, in
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