Winslow, Don
befiehlt dem Chauffeur, loszufahren.
Menschen sammeln sich vor dem Allgemeinen Krankenhaus von Tijuana, bevor
der Rettungswagen eintrifft. Sie bevölkern die Vortreppe, sie weinen, beten,
rufen Colosios Namen, halten sein Bild in die Höhe. Der Rettungswagen fährt
vorbei, zur Notaufnahme. Ein Hubschrauber ist auf der Straße gelandet und
steht dort bereit, mit laufendem Rotor, um den Verletzten in eine
Spezialklinik nach San Diego zu bringen.
Aber der Flug
findet nicht statt.
Colosio ist
bereits tot.
Bobby Kennedy.
Das sieht mir
zu sehr nach Bobby aus, denkt Keller.
Der einsame
Einzeltäter - ein durchgedrehter Typ. Und zwei Schusswunden. Eine von rechts,
eine von links.
»Wie hat der
das hingekriegt, dieser Arturo? «, fragt Keller, als , er die Sache mit Shag beredet. »Ein Kopfschuss in
die rechte Schläfe, aus nächster Distanz, dann ein Schuss in die linke Brustseite?
Wie soll das gehen?«
»Genau wie bei
Bobby Kennedy«, sagt Shag. »Colosio hat sich gedreht, als ihn die erste Kugel
traf.«
Shag macht es
vor. Er wirft den Kopf zurück und dreht sich im Fallen nach links.
»Könnte sein«,
sagt Keller. »Aber die Schüsse können auch aus zwei verschiedenen Richtungen
gekommen sein.«
»Nicht dieser
Schwachsinn wieder!«
»Okay«, sagt Keller. »Wir finden Gúeros Tunnel, decken seine Verbindung zu den
Fuentes-Brüdern auf, und die Fuentes-Brüder sind Hauptsponsoren von Colosio.
Colosio kommt nach Tijuana, ins Hoheitsgebiet der Barreras, und wird umgelegt.
Klingt das nach Schwachsinn?«
»Ich behaupte ja nicht, dass du schwachsinnig bist«, beschwichtigt Shag.
»Aber ich glaube, du hast dich verrannt. Du bist zu sehr auf die Barreras
fixiert, seit...«
Er verstummt,
starrt auf den Schreibtisch.
Keller
vollendet den Satz. »Seit sie Ernie umgebracht haben.«
»Eben.«
»Du etwa
nicht?«
»Ich will sie alle haben, die Barreras und Mendez«, sagt Shag. Aber wenn die Sache
ein bestimmtes Ausmaß erreicht ... ich meine, irgendwann muss Schluss sein.«
Er hat recht, denkt Keller.
Natürlich hat er recht. Am liebsten möchte ich sofort Schluss machen. Aber
Wollen und Können sind zwei verschiedene Dinge -
»Wart's ab«, sagt Keller. »Am Ende wird sich zeigen, dass die Barreras
hinter dem .Attentat stecken.« Er hat nicht den geringsten Zweifel.
Gúero Méndez liegt in einer Privatklinik, drei der besten Plastischen Chirurgen
Mexikos bereiten seine Gesichtsoperation vor. Ein neues Gesicht, denkt Gúero,
ein neuer Name, gefärbtes Haar, und der Krieg gegen die Barreras geht weiter.
Der Krieg, den er gewinnen wird, mit Unterstützung des neuen Präsidenten.
Er lässt sich ins Kissen sinken, während ihn die Schwester auf die OP
vorbereitet.
»Sind Sie bereit? Sie werden jetzt einschlafen«, sagt die Schwester.
Er nickt. Einschlafen und als neuer Mensch aufwachen.
Sie greift nach der Spritze, entfernt die Gummikappe, sucht seine Armvene
und drückt ab. Während die Wirkung einsetzt, streicht sie ihm übers Gesicht und
sagt: »Colosio ist tot.«
»Was haben Sie gesagt?«
»Ich habe Nachricht von Adán
Barrera - Ihr Freund Colosio ist tot.«
Gúero will hoch, aber sein Körper gehorcht nicht.
»Das Mittel heißt Dormicum«, sagt die Schwester. »In der Überdosis wirkt
es als Todesspritze. Sie werden jetzt die Augen schließen und nie wieder
öffnen.«
Er will schreien, aber es kommt kein Laut. Er sträubt sich gegen das
Einschlafen, doch er spürt, wie ihm alles entgleitet - sein Bewusstsein, sein
Leben. Er will die Maske herunterreißen, nach Hilfe schreien, doch seine
Muskeln reagieren nicht. Nicht mal den Kopf kann er schütteln, um nein, nein,
nein zu sagen.
Wie aus unendlicher Entfernung hört er die Stimme der Schwester: »Schönen
Gruß von den Barreras. Sie sollen in der Hölle schmoren.«
Zwei Wachmänner schieben den Wagen mit frischer Bettwäsche bis zur
Zellensuite von Miguel Angel Barrera im Gefängnis von Almoloya.
Tío steigt ein, die
Wachmänner decken ihn mit Laken zu und rollen ihn aus dem Gebäude, über den
Hof, zum Tor hinaus. Ganz einfach und ganz lässig. Wie versprochen.
Miguel Ángel klettert heraus und geht hinüber zum wartenden Lieferwagen.
Zwölf Stunden später lebt er als Pensionär in Venezuela.
Drei Tage vor Weihnachten kniet Adán
Barrera vor Kardinal Antonucci.
Der »meistgesuchte Verbrecher Mexikos« lauscht dem lateinischen
Sprechgesang des päpstlichen Nuntius, um Absolution für sich und Raúl zu empfangen -
wegen ihrer
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