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Winslow, Don

Winslow, Don

Titel: Winslow, Don Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Tage der Toten
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sterilen Apartments und setzt sich.
Draußen ist ein klarer Wintertag, er sieht den Hafen von San Diego, nur ein
paar Straßen entfernt, dahinter Mexiko.
    Was für ein Scheißjahr, dieses 1994, denkt er.
    Möge das nächste besser werden.
    Die Toten auf meiner Silvesterparty sind wieder mehr geworden. Die alten
Stammkunden - und nun auch Padre Juan. Niedergemäht in einem Kreuzfeuer, das
ich verursacht habe, um den Krieg zu beenden, den ich provoziert habe. Und er
hat Gäste mitgebracht, Kinder eigentlich noch, die jetzt auch tot sind, aus
der Street-Gang meines alten Barrios.
    Die alle haben mit mir gefeiert.
    Was für eine Party!
    Er liest die Schlagzeile des Tages und registriert ohne großes Interesse,
dass das Freihandelsabkommen NAFTA heute in Kraft tritt.
    Da kann ich nur gratulieren, denkt er. Der Freihandel wird aufblühen. Die
Fabriken werden wie Pilze aus dem Boden schießen, drüben in Mexiko, und die
mexikanischen Billigarbeiter werden unsere Tennisschuhe, Designerklamotten,
Kühlschränke und andere praktische Dinge herstellen, zu Preisen, die wir uns
leisten können.
    Wir alle werden fett und glücklich. Was ist dagegen ein toter Priester?
    Na schön, ihr habt euer Abkommen, denkt er. Aber ich hab es nicht
unterschrieben.
     
    VIERTER TEIL
     
    Die Straße nach Ensenada
     
    10 Der goldene Westen
     
     
    All the federales say
    They could have had him
any day.
    They only let him go so
long
    Out of kindness, I
suppose.
    Townes Van Zandt, Pancho and Lefty
     
    San Diego
     
    1996
     
    Dreckiges Sonnenlicht, gefiltert durch ungeputzte Fenster, zerfetzte
Rollos, kriecht auf Callan zu wie ein giftiges Gas, gelb und kränklich. Gelb und kränklich, das
trifft auch auf Callan zu - gelb, kränklich, verschwitzt und stinkend. Er liegt verdreht im Bett,
seine Laken sind seit Wochen nicht gewechselt, seine Poren versuchen
(vergeblich), den Alkohol auszuschwitzen, in den Winkeln seines halboffenen
Mundes klebt getrockneter Speichel, sein Gehirn bemüht sich fieberhaft, die
zerbröckelnden Reste seines Alptraums gegen das Erwachen zu verteidigen.
    Als die Sonne sein Gesicht erreicht, macht er die Augen auf.
    Ein neuer Tag im Paradies.
    Scheiße.
    Eigentlich kann er froh sein, dass er aufgewacht ist, der Alptraum war
grässlich, kein Wunder bei dem Suff. Halb erwartet er, in seinem Blut zu
liegen. Er träumt von nichts anderem. Ströme von Blut, und ein Alptraum jagt
den anderen.
    Nicht dass die Wirklichkeit viel besser wäre.
    Er blinzelt ein paarmal, um sicherzugehen, dass er wach ist, dann schiebt
er langsam die Beine aus dem Bett. Eine Weile bleibt er sitzen und überlegt, ob
er sich wieder hinlegen soll, weil die Beine so weh tun. Er greift nach den
Zigaretten auf dem Nachttisch, steckt sich mit zitternder Flamme eine an.
    Einmal tief inhalieren, einmal kräftig husten, und er fühlt sich schon
besser.
    Was er jetzt braucht, ist ein Drink. Ein Muntermacher.
    Er schaut sich um und entdeckt die leere Seagram's-Flasche zu seinen
Füßen.
    Verdammte Kacke, das passiert neuerdings immer öfter. Immer öfter? Am
Arsch, denkt er. Es passiert jeden Tag, und das seit langem - dass er die ganze
Flasche leer macht und sich nichts für den Morgen aufhebt, nicht den Schluck
aus bernsteinfarbenem Sonnenlicht. Was nichts anderes heißt als aufstehen.
Aufstehen, anziehen und rausgehen, Nachschub besorgen.
    In den alten Zeiten - und so lange ist das gar nicht her - brauchte er
eine Tasse Kaffee, um seinen Kater loszuwerden. In den noch älteren Zeiten ging
er in den kleinen Diner auf der Fourth Avenue, trank einen Kaffee gegen die
Kopfschmerzen und ging dann gleich zum Frühstück über - fettige Bratkartoffeln,
Eier und Toast: sein »Special«. Dann hörte das mit dem Frühstücken auf - mehr
als der Kaffee ging nicht rein - und irgendwann später, ein ganzes Stück
weiter auf dem langen Weg nach unten, der eigentlich eine einzige Sauftour war,
vertrug er in diesen fürchterlichen Morgenstunden auch keinen Kaffee mehr,
sondern nur noch Schnaps.
    Also heißt es aufstehen.
    Seine Knie knirschen, sein Rücken ist verspannt vom Schlaf in der falschen
Position.
    Er schlurft ins Bad, bestehend aus Waschbecken, Dusche und Klo,
eingezwängt in einen Verschlag. Eine flache Metalllippe trennt den Duschbereich
vom Fußboden, und in den Zeiten, als er noch regelmäßig duschte (und er zahlt
einen dicken Zuschlag für das Privileg eines eigenen Bads, weil er den
Waschraum am Ende des Korridors nicht mit faselnden Irren, alten

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