Winslow, Don
gesetzt, und der Vernehmer
kommt und fragt: »Wissen Sie jetzt, was Sie an dem Abend gesehen haben?«
»Ja.«
Weil ich Schlaf brauche. Ich muss schlafen. Wenn ich schlafen kann, kann
ich denken, und wenn ich denken kann, fällt mir ein Ausweg ein. Also gebe ich
ihnen was, nur ein bisschen. Ich kaufe mir meinen Schlaf. Ich kaufe mir Zeit.
»Sehr gut. Und was?«
» Amistad. «
»Der Film, der von Sklaven handelt?«
»Ja, der.«
Fragt mich nur aus, denkt sie. Ich hab ihn gesehen. Ich kann alle eure
Fragen beantworten. Ihr Dreckskerle.
»Im öffentlichen Fernsehen laufen an den Wochentagen keine Filme, also
muss es Pay-TV gewesen sein oder HBO.«
»Oder irgendein anderer -«
»Nein. Ich hab das recherchiert. Das Hotel hat nur HBO und Pay-TV.«
»Oh.«
»Also was davon?«
Wie soll ich das wissen, denkt Nora.
»HBO.«
Der Mann schüttelt
traurig den Kopf. Wie ein Lehrer, den sein Musterschüler enttäuscht hat. »Nora,
das Hotel hat kein HBO.«
»Aber Sie haben
doch gesagt -«
»Das war eine
kleine Falle.«
»Dann eben
Pay-TV.«
»Wirklich?«
»Ja, jetzt fällt's mir ein. Es war Pay-TV. Ich erinnere mich, weil ich die
kleine Karte auf dem Fernseher gesehen habe und mich gefragt habe, ob die
denken, dass ich Pornos gucke. Ja, stimmt. Und ich ... was?«
»Nora, ich habe eine Kopie von Ihrer Hotelrechnung. Sie haben keinen Film
bezahlt.«
»Nein?«
»Nein. Aber
jetzt erzählen Sie mir, was Sie an dem Abend wirklich gemacht haben.«
»Das hab ich
doch.«
»Sie haben gelogen, Nora. Ich bin sehr enttäuscht von Ihnen.«
»Ich bin nur durcheinander. Ich bin so müde. Wenn Sie mich ein bisschen
schlafen lassen ...«
»Sie lügen, weil Sie etwas zu verbergen haben. Einen anderen Grund gibt es
nicht. Was haben Sie zu verbergen, Nora? Was haben Sie an dem Abend gemacht?«
Sie schlägt schluchzend die Hände vors Gesicht. Seit Juans Tod hat sie
nicht geweint. Es tut ihr gut. Es ist so befreiend.
»Sie waren an dem Abend woanders, oder?«
Sie nickt.
»Sie haben uns die ganze Zeit belogen, oder?«
Sie nickt wieder.
»Darf ich jetzt schlafen, bitte?«
»Gebt ihr Tuinol«, sagt der Vernehmer. »Und holt Raul.«
Adáns Tür geht auf.
Raúl kommt herein
und reicht ihm eine Pistole. »Bist du bereit, Bruder?«
Sie spürt eine Hand auf der Schulter.
Glaubt erst, es ist ein Traum, dann macht sie die Augen auf und sieht Adán.
»Meine Liebste«, sagt er. »Gehen wir spazieren.«
»Jetzt?«
Er nickt.
Er sieht so ernst aus, denkt sie. So ernst.
Er hilft ihr beim Aufstehen.
»Ich sehe schrecklich aus«, sagt sie.
Und es stimmt. Ihr Haar ist zerwühlt, ihr Gesicht ist aufgedunsen von
Medikamenten. Jetzt fällt ihm auf, dass er sie nie ohne Make-up gesehen hat.
»Du siehst immer gut aus«, sagt er. »Hier, zieh den Pullover über. Es ist
kalt. Ich will nicht, dass du krank wirst.«
Sie geht mit ihm hinaus in den silbrigen Dunst. Ihre Füße finden kaum
Halt auf den großen Kieseln, so erschöpft ist sie. Er hält sie am Ellbogen fest
und führt sie behutsam von der Hütte weg, zum Wasser.
Raúl schaut ihnen
vom Fenster aus nach.
Er sieht Adán und seine Geliebte aus der Strandhütte kommen und im Nebel verschwinden.
Hat er die Kraft?, fragt er sich.
Die Kraft, der hübschen Blondine die Pistole an den Kopf zu setzen und
abzudrücken? Aber was macht's? Wenn er's nicht kann, tue ich es. So oder so bin
ich der neue patrón, und unter dem neuen patrón werden die Dinge anders laufen. Adán ist weich
geworden. Ist eben doch nur ein Buchhalter - mit Zahlen kann er umgehen, aber
wenn es hart auf hart kommt...
Ein Klopfen an der Tür reißt ihn aus seinen Gedanken.
»Was ist denn?«, fragt er unwillig.
Einer seiner Männer. Er ist außer Atem, als wäre er die Treppen
hochgerannt.
»Die undichte Stelle«, sagt er. »Wir haben Nachricht von Rebollo. Er hat es
direkt von dem DEA-Mann, von Wallace -«
»Es ist Nora.«
Der Mann schüttelt den Kopf. »Nein, patron. Es ist Fabian.«
Der Mann nennt ihm die Beweise - die Mordanklage, die Androhung der
Todesstrafe, dann das Eigentliche - Kontoauszüge von Überweisungen, die Keller
in Fabians Auftrag
vorgenommen hat - Banken in Costa Rica, auf den Caymans, sogar in der Schweiz.
Hunderttausende von Dollars - Profite aus den Geschäften der
Piccone-Brüder.
»Sie haben ihm ein Angebot gemacht«, sagt der Mann. »Silber oder Blei.«
Er hat das Silber genommen.
Setzen wir uns, sagt Adán.
Er hilft Nora
und setzt sich neben sie. »Mir ist kalt«,
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