Winslow, Don
sagt sie. Er legt den Arm um sie.
»Weißt du noch, der Abend in Hongkong? Als du mit mir auf den Victoria
Peak gefahren bist? Stellen wir uns vor, wir wären dort.«
»Da war ich jetzt gern.«
»Die vielen Lichter, weißt du noch?«
»Adán, weinst du?«
Langsam zieht er die Pistole aus dem Gürtel. »Küss mich«, sagt Adán.
Er zieht ihren Kopf heran und küsst sie sanft auf die Lippen, während er
den Pistolenlauf auf ihren Hinterkopf richtet und entsichert.
»Du warst das Lächeln meiner Seele«, flüstert er.
Adán, es tut mir leid. Als wir die Nachricht bekamen, war
es zu spät. Eine Tragödie! Aber Fabián wird dafür büßen, da kannst du sicher sein.
Raúl Barrera übt seinen
Auftritt.
Jetzt muss das mit der Blonden geregelt werden, denkt er. Fabián kommt später.
Diese Frau umzubringen, daran wird Adán kaputtgehen. Er wird nicht mehr fähig sein, die
Geschäfte zu führen.
Er ist mein Bruder!
Verdammt noch mal. Eine verfahrene Kiste. Er schiebt den Mann beiseite,
rennt die Treppe hinunter, hinaus in die Nacht.
Und schreit »Adán! Adán!«
Adán hört die halb
vom Nebel verschluckten Schreie.
Hört Raúl näher kommen, hört seine Schritte auf den Kieseln. Er spannt den Finger um
den Abzug und denkt, nein, nicht er, das lasse ich nicht zu, dass er es macht.
Hinter ihnen naht die dunkle Gestalt von Raúl wie ein Gespenst.
Ich muss es selbst tun.
Jetzt.
Keller springt aus dem Boot, stapft durch knöchelhohes Wasser, stolpert
und fällt. Richtet sich auf, kriecht geduckt den Strand hinauf, da sieht er - Raúl Barrera.
Auf Adán zurennend. Und
auf Nora.
Es wird ein weiter Schuss, mindestens hundert Meter, seit Vietnam hat er
keine M16 mehr mit einer
solchen Erregung abgefeuert. Er hebt das Gewehr, drückt das Auge ans
Nachtsichtgerät, folgt Raúl ein paar Schritte mit dem Fadenkreuz und drückt ab.
Die Kugel
erwischt ihn mitten in der Bewegung. Direkt in den Bauch.
Keller sieht
ihn straucheln, abrollen und weiterkriechen. Dann wird die Nacht taghell.
Raúl krümmt sich auf
dem Boden.
Wälzt sich in
Todesqualen, brüllend vor Schmerz.
Adán rennt zu ihm,
will ihn halten, aber Raúl ist stärker, seine Schmerzen sind stärker, er reißt sich los.
»Dios mio!«, schreit Adán.
Seine Hände
sind voll Blut.
Das Blut fühlt
sich heiß an.
»Adán«, stöhnt Raúl, »sie war's nicht. Fabián war's.« Dann heult er vor Schmerzen. »Dios mío! Dios mío!
Madre de Dios!«
Adán muss jetzt
klaren Kopf bewahren. Alles ringsum explodiert, Gewehrfeuer überall, hastende
Männer, Rauls Bodyguards
kommen gerannt, schießen wild um sich, versuchen, Raúl in Sicherheit
zu bringen.
»Holt einen Wagen!«, brüllt Adán. »Bringt ihn her. Raúl, wir fahren dich
ins Krankenhaus!«
»Lasst mich.«
»Wir müssen.«
Sie schleppen
ihn den Strand hoch, weg vom Gewehrfeuer. Adán packt Nora bei
den Armen und will sie hochziehen. »Komm, schnell!«
Eine Granate schlägt in ein paar Metern Entfernung ein und wirft sie um.
Nora liegt auf den Steinen, ihr Kopf dröhnt, ihre Nase blutet, Adán schreit etwas,
doch sie kann nichts hören. Manuel zieht ihn fort, er schreit weiter, will
zurück zu ihr, aber der Campesino ist stärker als er.
Zwei Sicarios wollen Nora wegtragen, zwei kurze Gewehrsalven mähen sie nieder.
Ein weiterer Lichtblitz, dann ist es dunkel.
Keller sieht, wie die beiden Barreras den Hang hinaufgeschleppt werden, zu
ein paar Landrovern in der Nähe des großen Hauses.
Er rennt ihnen nach, Schüsse schlagen hinter ihm ein.
Ein schmächtiger Mann mit randloser Brille kommt aus der Strandhütte und
rennt den Hang hinauf, eine kurze Salve trifft ihn im Laufen, und er fliegt auf
den Rücken wie ein Stummfilmkomiker, der auf einer Bananenschale ausrutscht.
Die Hüttentür knallt zu, aus den Fenstern kommt jetzt heftiges Gewehrfeuer.
Keller wirft sich zu Boden und kriecht auf Nora zu. Callan hält sich neben ihm,
rollt sich weg, gibt seine Doppelschüsse ab und rollt sich weiter.
Dann ruft er: »Deckung!«
Eine Sekunde später fliegt eine Granate durch ein Hüttenfenster und explodiert.
Die Schüsse verstummen.
Raúl quiekt vor
Schmerz, als ihn seine Männer auf den Rücksitz hieven. Adán steigt auf der
anderen Seite ein und hält den Kopf seines Bruders im Schoß. Raúl packt seine
Hand.
Manuel setzt sich ans Steuer, Rauls Leute wollen ihn davon abhalten, aber Adán brüllt: »Manuel
soll fahren!«, und sie lassen ihn. Das Auto fährt den Berg hoch, jedes
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