Winslow, Don
einen soplón geben muss.
Spür ihn auf, sagen sie. Bring ihn zur Strecke. Mach was.
Sonst machen wir's.
Neben ihm, gleichmäßig atmend, schläft Pilar Talavera. Er blickt hinab auf
ihr glänzendes schwarzes Haar, ihre langen schwarzen Wimpern, die jetzt
geschlossen sind, ihre volle Oberlippe mit den winzigen Schweißtröpfchen. Er
liebt ihren jungen, frischen Duft.
Auf dem Nachttisch liegen die Zigarren. Er nimmt eine und zündet sie an.
Der Rauch wird sie nicht wecken, er hat sie daran gewöhnt. Und nach dem, was
wir diese Nacht getrieben haben, gibt es nichts, was sie wecken könnte. Wie
seltsam, sich in seinem Alter zu verlieben. Wie seltsam und wie wunderbar. Sie
ist mein Glück, denkt er, la sonrisa de mi
corazón - das Lächeln meines Herzens. Ein Jahr
noch, und sie ist meine Frau. Eine schnelle Scheidung, eine noch schnellere
Hochzeit.
Und die Kirche? Die Kirche ist käuflich. Ich verspreche dem Kardinal ein
Krankenhaus, eine Schule, ein Waisenhaus. Und dann heiraten wir in der
Kathedrale.
Nein, die Kirche ist nicht das Problem.
Aber der Informant.
Die verfluchte »Quelle Chupar«.
Kostet mich Millionen.
Schlimmer noch, sie macht mich angreifbar.
Ich höre förmlich, wie Ábrego, der eifersüchtige alte Fuchs, gegen mich hetzt: M -i kriegt die
Dinge nicht in den Griff. Er kassiert Unsummen für einen Schutz, den er uns
nicht bieten kann. Er hat einen Verräter unter seinen Leuten.
Ábrego will sich die
ganze Federación unter den Nagel reißen. Wann fühlt er sich stark genug? Kommt er selbst,
oder schickt er andere vor?
Nein, denkt er, sie werden sich alle gegen mich verbünden, wenn ich den
Verräter nicht finde.
Kurz vor Weihnachten geht es los.
Die Kinder haben lange gebettelt, sie wollen unbedingt den großen
Weihnachtsbaum in der Altstadt sehen. Keller hatte gehofft, sie würden sich
mit den posadas zufriedengeben, den abendlichen Umzügen im Tlaquepaque-Viertel, bei denen
die Kinder, verkleidet als Maria und Josef, von Haus zu Haus ziehen und um
Herberge bitten. Aber die Prozessionen machen seine Kinder nur noch neugieriger
auf den Weihnachtsbaum und auf die pastorelas, die heiter-burlesken Krippenspiele, die vor der Kathedrale veranstaltet
werden.
Doch ihm ist nicht nach Heiterkeit. Er hat gerade ein Gespräch von Tío abgehört, es
geht um achthundert Kilo Kokain, verpackt in achthundert Geschenkkartons, mit
Weihnachtspapier, Schleifen und allem, was dazugehört.
Weihnachtsgeschenke im Wert von dreißig Millionen Dollar, gut versteckt in
Arizona, und Keller hat noch nicht entschieden, wen er mit seiner Nachricht
beglückt.
Aber er weiß, dass er seine Familie vernachlässigt, also fährt er am
Samstag vor dem Fest mit Althea, den Kindern, der Köchin Josefina und dem
Kindermädchen Guadelupe zum Einkaufsbummel auf den Weihnachtsmarkt der
Altstadt.
Und muss zugeben, dass es ihm gewaltige Freude macht. Sie kaufen Geschenke
und handgemachten Christbaumschmuck für den Baum zu Hause, anschließend gehen sie
ganz groß essen - frisch aufgeschnittene carnitas und schwarze Bohnen, zum Nachtisch mit Honig gesüßte sopaipillas.
Dann sieht Cassie eine der herausgeputzten Pferdekutschen vorbeirollen,
schwarz lackiert mit roten Samtkissen, und mit so einer Kutsche muss sie
unbedingt fahren. Bitte, Daddy, bitte! Keller handelt mit dem Kutscher in
Gauchokluft den Preis aus, alle steigen ein und kriechen unter die Decke.
Michael, der auf Daddys Schoß sitzt, schläft beim eintönigen Hufeklappern
sofort ein, aber nicht Cassie. Sie ist außer sich vor Begeisterung, bestaunt
die Schimmel mit dem reich verzierten Riemenzeug und den roten Federbüschen,
dann den zwanzig Meter hohen Weihnachtsbaum in seinem Lichterglanz, und
Keller, der den Atem seines Sohns an der Brust spürt, weiß, dass er glücklicher
ist, als er es sein dürfte.
Es ist schon dunkel, als die Fahrt endet, behutsam weckt er Michael und
gibt ihn in Josefinas Obhut. Sie laufen über die Plaza Tapatia Richtung
Kathedrale, zu der kleinen Bühne, wo gleich das Krippenspiel beginnt.
Da entdeckt er Adán Barrera.
Seinen alten Boxkumpan. Er sieht ein wenig mitgenommen aus in seinem
zerknitterten Anzug, als hätte er eine lange Reise hinter sich. Adán gibt Keller ein
Zeichen und geht zu einer öffentlichen Toilette am Rand der Plaza.
»Ich muss mal verschwinden«, sagt Keller. »Michael, du auch?«
Sag nein, Kind, sag nein.
»Ich war schon, im Restaurant.«
»Geht weiter zur Bühne«, sagt Keller. »Ich komme nach.«
Adán
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