Winslow, Don
VOR-Turm
soll nicht zu sehen sein? Dann die Flugzeuge. Ich kriege die AWACS-Protokolle,
aber die geben nichts her. Jedes Flugzeug von Kolumbien nach Honduras muss
Nicaragua überfliegen, Sandinistengebiet. Und das, mein Freund, haben wir voll
im Blick.«
Wohl wahr, denkt Keller. Nicaragua, ein kommunistisches Regime ganz nach
dem Geschmack der Monroe-Doktrin, liegt im Fadenkreuz der Reagan'schen
Mittelamerika-Politik. Die Contras, von der US-Regierung unterstützt, haben Nicaragua
von Honduras und Costa Rica her in die Zange genommen, aber dann hat der
Kongress beschlossen, ihnen die Militärhilfe zu streichen.
Und jetzt steht da ein ehemaliger Oberst der Special Forces und fanatischer
Antikommunist (»Zur Hölle mit diesen Atheisten!«) zusammen mit Ramón Mette
Ballasteros vor einem SET-CO-Flugzeug.
Als Keller aus Costa Rica abreist, ist er noch mehr mit den Nerven fertig
als vorher.
Wieder in Guadalajara, schickt er Shag Wallace auf Missionsfahrt in die
Staaten. Shag beehrt alle Drogendezernate und DEA-Büros des Südwestens mit
seinem Besuch und erzählt ihnen mit seiner sanften Cowboystimme: »Das mit
Mexiko ist kein Quatsch. Erzählt mir nicht, ihr hattet keine Ahnung, wenn die
Bombe platzt. Und das wird sie unter Garantie. Pro forma könnt ihr ja die
offizielle Linie weiterfahren, aber ich rate euch, lieber mit uns mitzuziehen,
denn wenn die Trompeten blasen, Amigos, trennen wir die Böcke von den Schafen.«
Und den Jungs in Washington sind die Hände gebunden. Was sollen sie auch
machen? Die Polizei anweisen, auf amerikanischem Boden keine Drogen mehr zu
beschlagnahmen? Das Justizministerium würde Keller am liebsten kreuzigen. Sie
vermuten, dass er diese Nachrichten verbreitet, aber sie können ihm nichts
anhaben, obwohl das Außenministerium laut über »eine irreparable Beschädigung
der Beziehungen zu einem wichtigen Nachbarn« zetert.
Die Bundesanwaltschaft möchte Art Keller am liebsten mit der Peitsche
durch die Pennsylvania Avenue treiben und auf dem Capitol Hill ans Kreuz
nageln, nur haben sie leider keine Beweise. Sie können ihn auch nicht aus
Guadalajara abziehen, weil sich inzwischen die Medien für La Federación interessieren.
Wie sähe das denn aus?
Also schauen sie mit wachsendem Verdruss zu, wie Art Keller ein ganzes
Imperium auf den Enthüllungen des unsichtbaren, nichtexistenten CI -D0243 errichtet.
»CI -D0243 klingt ziemlich
unpersönlich, findet ihr nicht?«, sagt Shag eines Tages. »Ich meine, für einen
Kerl, der uns so viele Informationen liefert.«
»Wie willst du ihn denn nennen?«, fragt Keller.
»Deep Throat«, schlägt Ernie vor.
»Der Name ist besetzt«, sagt Keller. »Aber er ist eine Art mexikanischer
Deep Throat.«
»Chupar«, sagt Ernie. »Nennen wir ihn Chupar. « Chupar wie Blowjob.
Wegen der Quelle Chupar hat Keller bei den Drogenfahndern an der Grenze
einen Riesenstein im Brett. Sie leugnen zwar, dass sie die Tips von ihm
bekommen, aber sie sind ihm sehr dankbar. Dankbar? Unsinn. Sie lieben ihn. Die DEA ist auf Informationen aus dem Hinterland angewiesen. Und wenn sie die
haben wollen, legen sie sich besser nicht mit Art Keller an.
Nein, auch Art Keller wird zusehends intocable.
Aber nur scheinbar.
In Wirklichkeit ist es extrem aufreibend, eine Operation gegen Tío durchzuziehen,
die angeblich gar nicht stattfindet. Spätnachts Haus und Familie zu verlassen,
sein Tun geheim zu halten, seine alte Verbundenheit mit Tío zu verraten -
bis Tío ihn überführt und daran erinnert, dass er ihn zu seinem Neffen erklärt
hat.
Tío und sobrino.
Keller leidet unter Appetitlosigkeit, er findet keinen Schlaf.
Mit Althea schläft er kaum noch. Sie wirft ihm vor, er sei gereizt,
geheimnistuerisch, verschlossen.
Unantastbar, sagt sich Keller, der um vier Uhr morgens auf dem Rand der
Badewanne sitzt. Er hat soeben das mexikanische Hühnchen ausgekotzt, das ihm
Althea im Kühlschrank kaltgestellt hat. Nein, die Katastrophe holt dich nicht
ein, du marschierst geradewegs drauf zu. Unaufhaltsam, Schritt für Schritt, in
Richtung Abgrund.
Nachts liegt Tío wach und grübelt darüber nach, wer der soplón sein könnte - der Informant. Die patrones der Federación - Ábrego,
Méndez, el Verde - beschweren sich lautstark und
setzen ihn gewaltig unter Druck, damit er etwas unternimmt.
Denn die undichte Stelle befindet sich eindeutig in Guadalajara. Weil
alle drei Regionen betroffen sind. Ábrego,
Méndez und el Verde sind
überzeugt, dass es im Umkreis von M-i
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