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Winter

Winter

Titel: Winter Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: John Marsden
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endlich zu Gesicht bekam, schien der Vergleich mit Vom Winde verweht gar nicht so weit hergeholt. Nur war ihres eher britisch als amerikanisch. Mehr grau als weiß. Ein zweistöckiges Herrenhaus aus dem letzten Jahrhundert, aus Granit gebaut und mit einer Einfahrt davor, die kreisförmig um eine mächtige Kastanie herumlief.
    Alles sah unglaublich gepflegt aus. Als hätte jemand die Einfahrt mit der Nagelbürste gekehrt. Was für ein Gegensatz zu Warriewood.
    Und doch hatte es auch etwas merkwürdig Abstoßendes. So imposant und alt wie es war, mochte man glauben, jemand hatte sich damit einen Traum erfüllt. Und es war ja auch wirklich wunderschön. Aber es schien völlig leblos. Als fehlten ihm Herz und Seele. Die Türen waren alle verschlossen, die Fenster verriegelt und im Obergeschoss waren sogar die Jalousien heruntergelassen. Matthew hatte gesagt, das Durchschnittsalter im Distrikt läge bei dreiundneunzig Jahren. Man hatte den Eindruck, Großtante Rita hatte ihren Beitrag geleistet, um es so hoch zu halten.
    Ich hatte nicht das geringste Bedürfnis, noch weiter zu gehen. An einem Tag hatte man mir eine Verwandte zurückgegeben und am nächsten hatte ich sie wieder verloren. Und alles, was ich über Großtante Rita gehört und jetzt gesehen hatte, überzeugte mich, dass sie wohl eher unter meine toten als meine lebenden Verwandten zu reihen war.
12
    Ich kehrte nach Warriewood zurück, als Mr Carruthers gerade aufbrechen wollte. Sein großer brauner Landcruiser kam mir in der Einfahrt entgegen. Ich lehnte mich links vom Tor gegen die Steinsäule und wartete auf ihn. Er hielt neben mir an und sprang aus dem Wagen. Es war immer noch ziemlich kalt, aber vom Gehen war mir warm geworden. Ich war müde, fühlte mich einsam und niedergeschlagen, und auch wenn ich nie so recht wusste, ob ich Mr Carruthers wirklich trauen konnte, war ich in diesem Moment ehrlich froh ihn zu sehen. Er war immer gut gelaunt und schien sich stets zu freuen mich zu sehen. Und selbst wenn es gekünstelt war, diesmal nahm ich es fraglos an.
    »Na«, sagte er, »ich dachte schon, ich hätte dich verpasst.« »Das hätten Sie ja auch beinahe. Ihre Sekretärin hat nicht zurückgerufen, deshalb wusste ich nicht, ob Sie kommen würden.«
»Sie hat versucht dich zu erreichen, du warst aber nicht da. Außerdem musste ich sowieso nach Exley, also dachte ich, ich versuche es einfach auf gut Glück. Hast du ein paar Minuten Zeit?«
Er behandelte mich immer so, als flitzte ich zwischen der Oscarverleihung und einem dringenden Termin beim Premierminister hin und her.
»Klar. Wollen Sie mit auf den Hof kommen? Ich hab da einen ausgezeichneten Kaffee.«
»Klingt perfekt. Komm, steig ein.«
Als wir an dem wackeligen Plastiktisch in der Küche saßen, Mr Carruthers mit einer Tasse Kaffee und ich mit einer Cola light, kamen wir zur Sache.
»Mr Carruthers, wie ist meine Mutter gestorben?«
Er stellte behutsam seine Tasse ab und antwortete ohne mich anzusehen: »Ich dachte, du wüsstest das.«
»Die Robinsons sagten, sie und mein Vater seien beim gleichen Unfall ums Leben gekommen. Beim Sydney-HobartRennen.«
»Ja, sie haben mir erzählt, dass sie dir das gesagt haben, nur stimmt es nicht ganz. Sie starb sechs Monate später.«
Er blickte aus dem Fenster und beobachtete die Elstern auf der Wiese.
»Mir tat es Leid, dass dir die Robinsons diese Geschichte erzählt haben. Ich sagte ihnen damals schon, dass ich das sinnlos fände, aber da war es schon geschehen und es schien vernünftiger, die Dinge so zu belassen und dich nicht noch mehr zu verwirren.«
»Aber warum haben sie mir nicht die Wahrheit gesagt?«
»Um ehrlich zu sein, ich weiß es nicht. Ich denke, sie gehören zu den Leuten, denen es am liebsten ist, wenn alles nett und ordentlich ist, und in ihren Augen war das die netteste und ordentlichste Lösung. Vielleicht dachten sie, es würde ihnen eine Menge Fragen ersparen, die sie nicht beantworten wollten. Es war natürlich zu erwarten, dass du diese Fragen früher oder später stellen würdest und dass durch diese Unwahrheit alles nur noch viel komplizierter würde. Dass eben genau das eintritt, was jetzt passiert, nehme ich an.«
»Wie ist sie denn gestorben? War es etwas Schlimmes? Etwas, wofür man sich schämen muss?«
»Aber nein, überhaupt nicht.«
Ich behielt ihn misstrauisch im Auge. War er nun ehrlich oder nicht? Er wich immer noch meinem Blick aus, aber das konnte auch daran liegen, dass ihm meine Fragen unangenehm waren.
»Also?«
»Ralph

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