Winter
also unterhielt ich mich eine Weile mit ihm. Wir saßen an einem dieser kleinen, von einem Schirm überdachten Tische. Matt saß am Beckenrand, rührte mit einem Spazierstock im Wasser und plauderte mit Astrid. Tim war ein großer Fan von Tolkiens Herr der Ringe, das ich vor ein paar Jahren gelesen hatte, und von Per Anhalter durch die Galaxie, das ich nicht kannte, außerdem mochte er Stephen King, den ich auch gut finde und von dem er gerade The Green Mile fertig gelesen hatte. Ich hatte mir das Buch in Canberra gekauft, aber noch nicht damit angefangen. Also redeten wir eine Zeit lang über Bücher und dann über Canberra.
»Wir sind in der sechsten Klasse nach Canberra gefahren«, sagte er.
»Was du nicht sagst. Du und alle anderen Kids in ganz Australien. Lass mich raten: Parlament, Gefallenendenkmal, Kunstgalerie und die Akademie der Wissenschaften. Richtig?«
»So ziemlich. Wir trafen auch den Premierminister, daran erinnere ich mich noch. Treffen ist vielleicht übertrieben. Er blieb vier Sekunden stehen, ließ sich fotografieren, dann rannte er gleich weiter. Hatte wohl Wichtigeres zu tun.«
»Er wird sich gedacht haben, bis ihr wählen dürft, ist er längst im Ruhestand.«
Ich war froh, dass wir nicht über Warriewood oder meine Eltern sprachen.
»Das, woran ich mich bei dieser Reise besonders gut erinnere, war die Drohung der Lehrer, dass sie uns heimschicken würden, falls sie uns auf dem Dach der Mädchenduschen erwischten.«
»Perverser Wicht. Klar hätten sie dich heimschicken sollen.«
»Bisschen streng, findest du nicht? Außerdem, wie wollen sie einen von Canberra heimschicken?«
»Hmm. Ziemlich weit zu Fuß.«
Dann erzählte er mir lang und breit von einer Klassenfahrt im letzten Jahr nach Noumca, und dass er auch diesmal beinahe heimgeschickt worden wäre, weil sie ihn verdächtigt hatten, Gras zu rauchen, ihm aber nichts nachweisen konnten.
Plötzlich fing er an mir auf die Nerven zu gehen. Er erinnerte mich an einen Cartoon, in dem ein Junge auf ein Mädchen einredet und ungefähr zehn Minuten lang in einem fort »Ich, ich, ich, ich…« sagt, bis sie dann ein einziges Mal »ich« sagt und er prompt am Tisch einschläft.
Ich füllte sein Glas und sah mich kurz nach Matthew um. Er plätscherte immer noch mit dem Stock im Wasser und hörte Astrid zu. Ich hatte ihn noch nie so aufmerksam zuhören gesehen. Das genaue Gegenteil von dem Typ in dem Cartoon. Tim sagte gerade: »Also, möchtest du?«
Ich zuckte zusammen, denn ich hatte ihm nicht zugehört. Nach seinem Gesichtsausdruck zu urteilen musste es etwas Wichtiges gewesen sein. Da er sich jetzt auch noch näher zu mir her beugte, konnte ich mir ungefähr vorstellen, was er gesagt hatte.
»Äh, wie war das?«, fragte ich. Mann, war mir das peinlich.
»Vergiss es«, erwiderte er und lehnte sich wieder zurück. »Ich sehe schon, zu wem du gehörst.«
»Gehören?«, fauchte ich und wirbelte zu ihm herum. »Wem soll ich gehören?«
Er stand auf und schlurfte zum anderen Ende des Beckens. Ich war wütend. Was hatte ich mir eigentlich gedacht, als ich meinte, er sei ein netter Kerl? Ich versank in meinem Stuhl, verschränkte meine Arme über der Brust und meine Beine bei den Knöcheln und dachte, ja, zu Jungs habe ich wirklich einen ganz besonderen Draht.
Matthew war aufgestanden und kam in meine Richtung. Er sah so aus, als wolle er ins Haus, blieb aber vor mir stehen und sah auf mich herunter. Blinzelnd wegen der Sonne stellte ich beeindruckt fest, wie groß er war.
»Willst du irgendwas?«, fragte er. »Ich hole für Astrid Sonnencreme.«
»Davon könnte ich auch was vertragen«, erwiderte ich und ertappte mich bei dem Gedanken, dass ich nichts dagegen hätte, wenn Matthew mich damit einrieb. »Warte, ich komme mit.«
Im Haus war alles sehr hübsch und ordentlich. Fast schon zu hübsch, dachte ich, wusste mich aber zu benehmen und hielt den Mund. Vor der Tür zum Bad blieb ich stehen und beobachtete Matthew dabei, wie er im Schrank stöberte.
»Tim gefällt dir, nicht wahr?«, fragte er, während er ohne mich anzusehen ein paar Tuben hervorholte.
Ich wollte schon sagen: »Nein, besten Dank«, überlegte es mir aber anders und antwortete: »Ja, er ist ganz süß.«
Als er nichts erwiderte, fügte ich hinzu: »Astrid scheint sehr nett zu sein.«
»Ja.« Er richtete sich auf. »Ich kenne Astrid, seit wir vor ungefähr zwölf Jahren zusammen vom Garagendach gesprungen sind. So etwas verbindet.«
»Warum seid ihr vom Garagendach gesprungen?«
»Wir
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