Winter der Welt - Die Jahrhundert-Saga Roman
den Drecksack nicht erwischt hast. Jetzt kriegst du Ärger mit dem NKWD .«
»Glaubst du?«, erwiderte Dave. »Ich kann mir nicht vorstellen, dass es in Iljas Interesse ist, wenn bekannt wird, dass sein Kumpel beim Streit um eine Frau erschossen wurde. Selbst NKWD -Agenten haben Angst vor dem NKWD . Ich glaube, er wird die Klappe halten.«
Lloyd schaute noch einmal auf die Leiche. »Und wie sollen wir das erklären?«
»Du hast doch gehört, was Ilja gesagt hat«, erwiderte Dave. »Wir sind hier an der Front. Weitere Erklärungen sind nicht nötig.«
Lloyd nickte. Dave hatte recht. Niemand würde fragen, wie Berezowski gestorben war. Ihn hatte eine verirrte Kugel getroffen.
Sie ließen den Toten einfach liegen.
»Pech gehabt«, sagte Dave.
Lloyd und Lenny sprachen mit Oberst Bobrow und beschwerten sich darüber, dass der Angriff auf Saragossa zum Stillstand gekommen war.
Bobrow war ein älterer Russe mit kurzem weißem Haar. Er näherte sich dem Ruhestand und war veralteten militärischen Grundsätzen und Theorien verhaftet. Offiziell war Bobrow nur hier, um die spanischen Kommandeure zu beraten; in Wahrheit aber hatten die Russen das Sagen.
»Wir verschwenden Zeit und Energie mit diesen Dörfern«, sagte Lloyd und übersetzte ins Deutsche, was Lenny und die anderen erfahrenen Männer sagten, denn Bobrow verstand Deutsch. »Wir müssen die Panzer als Speerspitzen nutzen und sie tief in Feindesland vorstoßen lassen. Die Infanterie muss ihnen folgen und das eroberte Gebiet sichern.«
Wolodja stand dabei und hörte zu. Nach seiner Miene zu urteilen, stimmte er mit Lloyd überein, doch er schwieg.
»Kleinere befestigte Stellungen dürfen den Vormarsch nicht aufhalten«, fuhr Lloyd fort. »Sie müssen umgangen werden. Die nachrückenden Einheiten können sich später um sie kümmern.«
Bobrow war sichtlich schockiert. »Das ist die Theorie von Marschall Tuchatschewski«, sagte er mit gedämpfter Stimme. Er klang, als hätte Lloyd einem Bischof befohlen, den Teufel anzubeten.
»Ja, und?«, entgegnete Lloyd.
»Tuchatschewski hat gestanden, ein Verräter und Spion zu sein. Er wurde exekutiert.«
Lloyd blickte Bobrow ungläubig an. »Wollen Sie mir etwa sagen, die spanische Regierung darf keine modernen Taktiken anwenden, weil irgendein General in Moskau der Säuberung zum Opfer gefallen ist?«
»Werden Sie nicht unverschämt, Leutnant!«
»Selbst wenn die Vorwürfe gegen Tuchatschewski berechtigt sind«, sagte Lloyd, »heißt das noch lange nicht, dass seine Methoden falsch sind.«
»Das reicht jetzt!«, rief Bobrow. »Das Gespräch ist beendet!«
Falls Lloyd nach dieser Besprechung noch einen Funken Hoffnung gehabt hatte, erlosch auch der, als sein Bataillon aus Quinto abgezogen und wieder nach hinten verlegt wurde. Am 1. September nahmen sie am Angriff auf Belchite teil, eine gut befestigte, aber strategisch unbedeutende Kleinstadt fünfundzwanzig Meilen von ihrem eigentlichen Ziel entfernt.
Wieder war es ein harter Kampf.
Gut siebentausend Verteidiger hatten sich an der größten Kirche Belchites, San Augustin, sowie auf einem nahe gelegenen Hügel eingegraben. Lloyd und sein Zug erreichten die Außenbezirke der Stadt ohne Verluste, gerieten dann aber unter verheerendes Feuer aus den Fenstern und von den Dächern der Gebäude.
Sechs Tage später waren sie keinen Zentimeter vorangekommen.
Die Leichen verwesten in der Hitze. Ihr Gestank vermischte sich mit dem verrottender Tierkadaver, denn die Wasserversorgung der Stadt war gekappt worden, und das Vieh verdurstete. Wann immer sie konnten, sammelten Pioniere die Leichen ein, warfen sie auf einen Haufen, gossen Benzin darüber und zündeten sie an. Doch der Gestank verbrannten Fleisches war noch schlimmer als der Verwesungsgeruch. Man konnte kaum atmen. Einige Männer trugen ständig ihre Gasmasken.
Die engen Straßen um die Kirche herum waren eine Todeszone, doch Lloyd hatte sich eine Möglichkeit ausgedacht, wie er und seine Leute vorrücken konnten, ohne ihre Deckungen zu verlassen. Lenny hatte in einer Werkstatt ein paar Werkzeuge entdeckt. Jetzt schlugen zwei Männer ein Loch in die Wand des Hauses, in dem sie Schutz gesucht hatten. Joe Eli, auf dessen kahlem Kopf der Schweiß glitzerte, arbeitete mit der Spitzhacke. Corporal Rivera, der ein gestreiftes Hemd in Rot und Schwarz trug, den Farben der Anarchisten, schwang einen Vorschlaghammer. Die Wand bestand aus flachen gelben Ziegelsteinen, wie sie in dieser Gegend häufig zu finden waren.
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