Winter der Welt - Die Jahrhundert-Saga Roman
Lenny leitete die Arbeiten, um sicherzustellen, dass Joe und Rivera nicht das ganze Haus abrissen. Als Bergarbeiter hatte er eine Nase dafür, wie stabil die Decke war.
Als das Loch groß genug für einen Mann war, nickte Lenny Jasper zu, ebenfalls ein Corporal. Jasper nahm eine der letzten Handgranaten aus der Gürteltasche, zog den Stift und warf die Granate ins Nachbarhaus, für den Fall, dass dort ein Hinterhalt auf sie wartete. Kaum war die Granate explodiert, kroch Lloyd durch das Loch in der Wand, das Gewehr im Anschlag.
Er fand sich in einem halb verfallenen Wohnhaus mit weiß verputzten Wänden und einem Boden aus festgestampfter Erde wieder. Es war niemand da, weder Lebende noch Tote. Die fünfunddreißig Männer seines Zuges folgten Lloyd durch das Loch. Dann schwärmten sie aus, um mögliche Verteidiger auszuschalten.
Auf diese Weise bewegten sie sich langsam, aber stetig durch eine Reihe armseliger Behausungen hindurch und rückten immer näher an die Kirche heran.
Als sie wieder dabei waren, eine Wand zu zertrümmern, kam ein Major namens Marquez zu ihnen, der ihnen durch die Löcher gefolgt war. »Vergesst es«, sagte er auf Englisch mit starkem spanischem Akzent. »Wir nehmen die Kirche im Sturm.«
Lloyd lief es eiskalt über den Rücken. Das war glatter Selbstmord! »Ist das Oberst Bobrows Idee?«
»Ja«, erwiderte der Major in beiläufigem Tonfall. »Wartet auf das Signal, drei scharfe Pfiffe.« Er hielt seine Trillerpfeife in die Höhe.
»Können wir wenigstens noch Munition bekommen?«, fragte Lloyd. »Was wir haben, reicht nicht mehr für einen solchen Einsatz.«
»Keine Zeit«, antwortete der Major und verschwand.
Lloyd war entsetzt. In den wenigen Tagen der Schlacht hatte erviel gelernt; deshalb wusste er, dass man eine gut verteidigte Position nur stürmen konnte, wenn man von massivem Deckungsfeuer geschützt wurde. Anderenfalls wurde man von den Verteidigern niedergemäht.
Den Blicken seiner Männer nach zu urteilen, standen sie kurz vor einer Meuterei. »Das ist unmöglich«, sagte Rivera.
Es gehörte zu Lloyds Aufgaben, die Moral seiner Leute aufrechtzuerhalten. »Ich will keine Beschwerden hören«, sagte er forsch. »Ihr alle seid Freiwillige. Habt ihr etwa geglaubt, dieser Krieg sei ungefährlich? Wenn wir hier sicher wären, hättet ihr eure Schwestern schicken können.« Die Männer lachten, und die Spannung löste sich. Die Gefahr einer Meuterei war vorerst gebannt.
Lloyd ging in den vorderen Teil des Hauses, öffnete die Tür einen Spalt und spähte hinaus. Die Sonne brannte auf eine schmale Straße mit Häusern und Geschäften auf beiden Seiten. Gebäude und Boden waren von der gleichen hellbraunen Farbe. Nur dort, wo Granaten den Untergrund aufgerissen hatten, war die darunterliegende rote Erde zu sehen. Unmittelbar vor der Tür lag ein toter Milizionär mit einer klaffenden Schusswunde in der Brust. Lloyd blickte zum Kirchplatz und sah, dass die Straße sich dort verbreiterte. Die Schützen in den hohen Kirchtürmen hatten freie Sicht und würden jeden ausschalten, der sich ihren Stellungen näherte. Unten gab es nur wenig Deckung: ein paar Trümmer, ein totes Pferd, ein alter Karren.
Wir werden alle sterben, dachte Lloyd. Aber warum sonst sind wir hierhergekommen?
Er drehte sich zu seinen Männern um und überlegte, was er ihnen sagen sollte. Auf jeden Fall musste er dafür sorgen, dass sie nicht die Hoffnung verloren.
»Hört zu, Leute«, sagte er. »Haltet euch am Straßenrand, dicht an den Häusern, verstanden? Und vergesst nicht: Je langsamer ihr vorrückt, desto länger seid ihr ohne Deckung. Also wartet auf die Pfiffe, und dann rennt wie die Teufel.«
Schneller als erwartet hörten sie die drei scharfen Pfiffe aus Major Marquez’ Pfeife.
»Lenny, du gehst als Letzter«, befahl Lloyd.
»Und wer zuerst?«, wollte Lenny wissen.
»Ich natürlich«, antwortete Lloyd.
Wenigstens, sagte er sich, werde ich im Kampf gegen die Faschisten sterben.
Er riss die Tür auf. »Vorwärts!«, brüllte er und rannte los.
Das Überraschungsmoment verschaffte ihm ein paar Sekunden. Deckungslos stürmte er über die Straße und auf die Kirche zu. Er spürte das Brennen der Mittagssonne im Gesicht, hörte die schweren Schritte seiner Männer im Rücken und empfand ein Gefühl tiefer Dankbarkeit, denn diese Sinneseindrücke bedeuteten, dass er noch am Leben war. Dann prasselte das Gewehrfeuer wie Hagel auf sie ein. Ein paar Herzschläge lang lief Lloyd noch weiter. Er
Weitere Kostenlose Bücher